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Was es bedeutet, Hirntumoroperationen im Wachzustand durchzuführen

Privatdozentin Dr. Katharina Faust ist leitende Oberärztin der Klinik für Neurochirurgie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und führt Hirntumoroperationen an wachen Patientinnen und Patienten durch. Um diese Art der Operation, ihre Ergebnisse und ihre Folgen noch weiter optimieren zu können, wird sie von der Stiftung Charité im Rahmen eines BIH Clinical Fellowships gefördert. Wir haben Frau PD Dr. Faust zum Interview getroffen und nicht nur erfahren, was der Gegenstand ihres Forschungsprojekts ist, sondern auch, wie viele Wach-Operationen sie bereits durchgeführt hat, wie sie ihren Weg in die Neurochirurgie fand und warum es wichtig ist, interdisziplinär zu arbeiten.

Frau Dr. Faust, „Methoden zum Erhalt höherer kognitiver Funktionen bei Hirntumoroperationen im Wachzustand“ lautet der Titel Ihres Vorhabens. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Gerne! Im Wesentlichen geht es darum, die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten mit Hirntumoren nachhaltig zu verbessern, indem Funktionen und Fähigkeiten erhalten werden sollen, die durch den Tumor oder auch durch den operativen Eingriff geschädigt werden können. Wichtiger Anspruch der Neurochirurgie ist es, das Leben von Betroffenen durch Entfernen des Tumors zu verlängern. Doch oftmals resultierten die Eingriffe darin, dass wir zwar den Tumor entfernt und damit Lebenszeit geschenkt haben, die Patientinnen und Patienten jedoch schwere Beeinträchtigungen oder Behinderungen davontrugen. Aus dem Grund sind wir immer mehr dazu übergegangen, Dinge wie Bewegung der Gliedmaßen oder das einfache Benennen von Objekten während der Operation zu überwachen. Doch selbst wenn die Patientinnen und Patienten danach in der Lage waren zu laufen und zu sprechen, konnten wir beobachten, dass viele der Erkrankten nicht gut in ihr Leben zurückfanden bzw. zurückfinden. Das liegt daran, dass Funktionen beschädigt wurden, von denen wir teilweise noch nicht genau wissen, wo diese im Gehirn lokalisiert sind. Das sind sogenannte höhere kognitive Funktionen wie z.B. das Arbeitsgedächtnis, das emotionale Gedächtnis, Aufmerksamkeit oder auch Rechnen und Lesen. Wir wollen erreichen, dass auch diese Fähigkeiten erhalten bleiben, um den Patientinnen und Patienten postoperativ ein noch lebenswerteres Leben zu ermöglichen.

Katharina Faust

Förderprogramm
BIH Clinical Fellows

Förderzeitraum
seit 2022

Fachgebiet
Neurochirurgie

Vorhaben
Methoden zum Erhalt höherer kognitiver Funktionen bei Hirntumoroperationen im Wachzustand

Institution
Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Seit 2014
Oberärztin der Klinik für Neurochirurgie

Seit 2020
Geschäftsführende Oberärztin der Klinik für Neurochirurgie

Seit 2021
Leitende Oberärztin der Klinik für Neurochirurgie

Wie lässt sich das verwirklichen?

Für eine bessere Systematisierung müssen wir den höheren kognitiven Funktionen Orte im Gehirn zuordnen, was jedoch nicht so einfach möglich ist. Daher beschreiben wir zunächst, welche Defekte bei unseren Hirntumor-Patientinnen und -Patienten z.B. im Bereich der Aufmerksamkeit, des Erkennens einer Bedeutung oder im Arbeitsgedächtnis je nach Tumorlage auftreten. Das Hauptziel ist es, in einem zweiten Schritt dann möglichst einfache Tests zu entwickeln, mithilfe derer wir Hirnfunktionen überwachen können, die möglicherweise während der Operation kaputtgehen – ähnlich, wie wir aktuell bereits das Sprechen durch einfaches Bilderbenennen observieren.

Sehr wichtig finde ich außerdem, dass wir unsere Patientinnen und Patienten nicht nur chirurgisch betreuen, sondern interdisziplinär. Die Verlaufskontrollen, bei denen wir untersuchen, ob der Tumor gewachsen ist, finden in der Regel in größeren Abständen statt. Somit erfahren wir häufig erst verzögert von Problemen, mit denen unsere Patientinnen und Patienten in ihrem Alltag zu tun haben. Denn damit wenden sie sich beispielsweise an onkologische Psychologinnen und Psychologen und nicht unbedingt an uns Chirurginnen und Chirurgen. Es wäre großartig, Expertinnen und Experten aus anderen Fachgebieten viel stärker einzubeziehen, um mögliche kognitive Defizite schneller erfassen zu können.

Und die bereits etablierten Tests, wie das Überwachen von Sprache während der Operation, finden statt, wenn die Patientinnen und Patienten wach sind?

Genau. Die Hirntumorchirurgie hat in den letzten Jahren dahingehend eine Art Wandel durchgemacht, da immer mehr Patientinnen und Patienten wach-operiert werden. Komplexere Funktionen des Gehirns lassen sich tatsächlich auch nur wach testen. Der große Vorteil ist, dass das Gehirn kein Schmerzempfinden hat, zumindest soweit wir wissen. Die Patientinnen und Patienten verspüren also kein Leid, wenn sie in einem wachen Zustand operiert werden.

Wie viele Wach-Operationen haben Sie schon durchgeführt?

Oh, das kann ich gar nicht mehr genau sagen. Aber mehrere Hundert waren es allemal.

Können Sie sich noch an den Moment erinnern, als Sie das erste Mal alleine operieren durften?

Das ist tatsächlich ein fließender Übergang. Alleine operieren darf man erst relativ spät in der Ausbildung, da bei Eingriffen am Gehirn natürlich keine Fehler passieren dürfen. Das bedeutet, dass man zunächst sehr lange zu zweit operiert und erst einmal beobachtet, begleitet und assistiert. Das ist ein mehrere Jahre andauernder Prozess, bei dem man sich sozusagen nach und nach freischwimmt. Und dann beginnt man erst einmal mit etwas risikoärmeren Operationen an anderen Teilen des Nervensystems, wie etwa den peripheren Nerven, bevor man sich dem Gehirn widmet.

Sie sagten, dass es wichtig sei, interdisziplinär zu arbeiten. Können Sie dies noch weiter ausführen?

Mit anderen Fachrichtungen zu arbeiten, bietet viele Vorteile, da man voneinander profitieren kann und neues Wissen erlangt, das man ohne diese Zusammenarbeit vermutlich nicht erlangt hätte. Durch interdisziplinäres Arbeiten kann man meiner Ansicht nach nicht nur die Medizin an sich verbessern, sondern auch die eigenen Kompetenzen erweitern.

Als leitende Oberärztin sind Sie sicherlich stark ausgelastet, was die Arbeit angeht. Ermöglicht Ihnen das Fellowship genügend Freiraum?

Ja, auch wenn die derzeitigen klinischen Probleme wie etwa der Personalmangel dem etwas entgegenwirken. Aber ich habe mit dem Fellowship die einzigartige Möglichkeit, mir diesen Freiraum tatsächlich zu schaffen. Er ist auch ausgesprochen nützlich, da ich mich fortbilden und mit anderen Neurochirurginnen und -chirurgen vernetzen kann. Das Fellowship gibt mir auch die finanziellen Möglichkeiten, an andere Kliniken und Zentren zu reisen, um mich auszutauschen und weiterzubilden.

Was hat Sie eigentlich in die Neurochirurgie geführt, waren Sie schon immer fasziniert von diesem Fachgebiet?

Ich bin eher auf Umwegen zur Neurochirurgie gekommen, denn ich bin niemand, der ‚schon immer‘ Neurochirurg bzw. – chirurgin werden wollte. Nach dem Abitur hatte ich viele verschiedene Interessen und keine genaue Vorstellung davon, was ich beruflich einmal machen möchte. Eine Zeit lang habe ich Physik studiert, weil ich darin meine Zukunft gesehen habe. Doch dann wurde mir irgendwann klar, dass ich in den medizinischen Bereich gehen will, da ich – so platt das klingt - Menschen gerne möglichst direkt helfen wollte. Physik ist unglaublich spannend. Aber ich glaube, dass man z.B. in der Physik oft lange auf etwas hinarbeiten muss, bis ein potentieller Nutzen für Mensch und Gesellschaft entsteht. In der Medizin bekommt man quasi täglich eine Rückmeldung von seinen Patientinnen und Patienten, etwas Sinnvolles getan zu haben. Ich denke, im ärztlichen Tun kann man unmittelbar einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten, wie groß oder klein der auch sein mag. Das Gehirn fand ich immer mit Abstand am spannendsten von allen Organen. In meinem Praktischen Jahr habe ich festgestellt, dass ich einen Hang zum Operativen habe, weshalb ich mich auf den chirurgischen Bereich fokussierte.

Was würden Sie Nachwuchsmedizinerinnen und -medizinern mit auf den Weg geben?

Das wäre zum einen, möglichst viel mitzunehmen in der Ausbildung. Und zum anderen, sich vielleicht nicht zu früh auf eine bestimme Richtung festzulegen bzw. unvoreingenommen zu bleiben. Man weiß nie, was einen vielleicht noch erwartet. Und die besten Dinge passieren, wenn man mutig ist und auch einmal etwas wagt. Wichtig finde ich auch, ein wenig auf sein Bauchgefühl zu hören und immer an sich selbst zu glauben. Jeder hat mit Zweifeln zu kämpfen, das ist ganz normal.

Womit gestalten Sie Ihre Freizeit, haben Sie irgendwelche Hobbys?

Ich versuche möglichst viel Zeit mit meiner Familie und meinen Freunden zu verbringen und auf andere Gedanken zu kommen. Denn ich möchte mich in meiner Freizeit mit Themen fernab von der Medizin beschäftigen. Manchmal lese ich z.B. physikalische Werke und denke an mein Physik-Studium zurück. Davon abgesehen bin ich ein Fan von Yoga, da ich damit einen wunderbaren Ausgleich zu meinem Arbeitsalltag finden kann.

Zu guter Letzt noch eine spielerische Frage: Wenn Sie mit drei Personen (tot oder lebendig) ein Abendessen genießen könnten, wer wäre das und warum?

Da habe ich vorher noch nie drüber nachgedacht, aber auf Anhieb fällt mir Marie Curie ein. Ich finde sie unglaublich und würde gerne erfahren, wie sie all das geschafft hat, was sie im Laufe ihres Lebens erreichen konnte. Daneben fände ich David Bowie spannend, da ich ein riesiger Fan bin, und er Musikgeschichte und Kultur auf einzigartige Weise geprägt hat. Wer noch? Vielleicht Elon Musk. Er hat unsere heutige Welt so stark verändert, wie kaum jemand und ich würde gerne erfahren, was genau für ein Mensch dahintersteckt.

Februar 2023 / Marike de Vries & Marie Hoffmann