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Pädiatrie schon im Studium hautnah erleben – wie eine studentische Initiative angehenden Kinderärztinnen und Kinderärzten frühe Praxiserfahrungen ermöglicht

Tara Hoffmann und Samipa Pudasaini, heute Ärztinnen in Weiterbildung, damals Studentinnen, haben an der Charité – Universitätsmedizin Berlin vor etwas mehr als drei Jahren die AG „Studierende werden Pat:innen“ gegründet, die von der Stiftung Charité im Rahmen der Projektförderung unterstützt wurde. Die Arbeitsgemeinschaft gibt Studierenden die Möglichkeit, eine zweijährige Patenschaft für ein Neugeborenes zu übernehmen. Sie begleiten das Kind und seine Eltern im Rahmen des Patenschaftsprogramms ehrenamtlich zu Untersuchungsterminen und bieten sich der Familie im neuen Alltag mit Baby niedrigschwellig als Ansprechpartner/innen an. Wir haben Frau Dr. Hoffmann und Frau Pudasaini gemeinsam mit ihren Nachfolgerinnen Lea Schwarzlmüller und Athanassia Skaltsas (aktuelle Projektleitung) bei uns in der Stiftung Charité getroffen, um über ihre Erfahrungen mit dem extracurricularen Projekt und dessen Entwicklung zu sprechen.

Schön, dass wir Sie heute alle zusammen begrüßen können. Würden Sie einmal beschreiben, wer in welcher Form am Projekt beteiligt ist, in welcher Phase Ihrer medizinischen Ausbildung Sie sich jeweils befinden und wie Sie zueinander gefunden haben?

Hoffmann: Ich hatte damals die Idee für das Projekt und war mir nicht sicher, ob ich es alleine stemmen kann. Also habe ich Samipa gefragt, ob sie mich bei der Realisierung unterstützen möchte. Wir kannten uns zu dem Zeitpunkt schon aus einer langjährigen Tätigkeit am Teddybär-Krankenhaus. Im Sommer bieten wir immer zwei große Teddybär-Sprechstunden an, mit denen wir Kindern die Angst vor ärztlichen Untersuchungen nehmen möchten. Jedenfalls wusste ich, dass Samipa und ich gut im Team zusammenarbeiten und sie genauso pädiatriebegeistert ist wie ich. Mittlerweile bin ich Ärztin in Weiterbildung für Kinderheilkunde am Virchow-Klinikum der Charité.

Pudasaini: Ich war sofort begeistert von Taras Idee, da es für mich ein ganz neuer Ansatz war und sich viele Studierende, inklusive mir selbst, schon länger mehr pädiatrische Lehre im Medizinstudium gewünscht haben. Aktuell gibt es eigentlich nur ein, zwei Pflichtmodule dazu und einige wenige Wahlpflichtmodule. Richtig begonnen haben wir das Projekt dann im Sommer 2020. Derzeit durchlaufe ich mein Praktisches Jahr. Ich mache gerade mein Wahltertial in der Pädiatrie, ebenfalls am Virchow-Klinikum. Tara und ich unterstützen „Studierende werden Pat:innen“ jetzt nur noch im Hintergrund.

Tara Maria Hoffmann

Förderprogramm
Projekt- und Veranstaltungsförderung

Förderzeitraum
2021 bis 2023

Fachgebiet
Pädiatrie und Neonatologie

Vorhaben
AG Studierende werden Pat:innen

Institution
Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

2022 bis 2023
Ärztin in Weiterbildung (10 Monate)
Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Pneumologie, Immunologie und Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

2022
Promotion: “Pollen Season Definitions in the Context of Seasonal Pollen Induced Allergic Rhinitis in Southern European Countries”

2019 bis 2020
Studentische Hilfskraft in der Kinderarztpraxis St. Hedwig

Skaltsas: Ich habe zu Beginn des letzten Sommersemesters eine Patenschaft innerhalb der AG übernommen und bin inzwischen Projektleiterin geworden. An der Charité bin ich jetzt im vierten Semester.

Schwarzlmüller: Und ich bin ebenfalls im letzten Sommersemester Patin geworden. Anschließend war ich von Sommer 2022 bis Sommer 2023 Teil der Projektleitung. Ich selbst bin im dritten Semester an der Charité.

Woher kam die Grundidee für die AG, Frau Hoffmann?

Hoffmann: Ich war im neunten Semester und nahm das erste Mal tiefergehender Inhalte der Kinderheilkunde im Studium durch. Das war 2020 zu Zeiten der Covid-19-Pandemie, weshalb viele Praxisformate ausfallen mussten. Das hat mich als angehende Kinderärztin sehr frustriert. Also habe ich angefangen, deutschlandweit nach Möglichkeiten für passende Online-Weiterbildungen im Bereich meiner Wunsch-Spezialisierung zu suchen. Bei meiner Recherche bin ich zufällig auf das Projekt „Studenten werden Paten“ am Universitätsklinikum Bonn gestoßen. Es wurde vor mehreren Jahren von einer Neonatologin gegründet, die es seitdem erfolgreich leitet. Ich fand dieses Konzept so großartig, dass ich mir dachte: das brauchen wir hier auch! In Heidelberg entdeckte ich ebenfalls Ähnliches, wenn auch das Projekt dort über die ambulanten Kinderarztpraxen läuft. Daraufhin habe ich mich an zwei Oberärztinnen in der Klinik für Neonatologie gewandt, Dr. Susanne Römer und Dr. Monika Berns, um etwas ganz Ähnliches an der Charité Realität werden zu lassen. Dr. Berns war bereits vorher meine Mentorin im Rahmen des Studierenden-Mentoringprogramms, ihr Rat war mir sehr hilfreich.

Wie läuft eine Patenschaft konkret ab? Wie können Studierende und Eltern am Programm teilnehmen?

Schwarzlmüller: Die Studierenden können sich bei uns auf eine Patenschaft bewerben. Bei der Auswahl der Personen ist uns wichtig, dass sie ein echtes Interesse an der Kinderheilkunde oder konkret der Neonatologie haben und vielleicht auch schon etwas Vorerfahrung mitbringen. Zu Beginn durchlaufen die Studierenden dann Tutorien, um auf einen vergleichbaren Wissensstand zu kommen. Sie sind ja in ganz unterschiedlichen Semestern! In den Tutorien geht es z. B. um die Kindervorsorgeuntersuchungen, die sogenannten U-Untersuchungen, um Grundlagen in lebensrettenden Maßnahmen oder auch um Themen wie die Stillberatung und Beikost-Einführung. Letztere bearbeiten die Teilnehmenden mit unserem Intensiv-Pfleger im Projekt, Tobias Ullrich. Seine sehr praxisorientierten Tutorien sind immer ein Highlight! Aber natürlich ist auch wichtig mit den Studierenden zu besprechen, wo die Grenzen der Patenschaft sind. Wir sind immer noch im Studium und keine fertig ausgebildeten Expertinnen bzw. Experten. Trotzdem: eine erste Ansprechpartnerin für die Eltern kann man im Rahmen einer Patenschaft schon sein. Die Patinnen und Paten können Beobachtungen der Eltern einordnen und erklären, an wen sie sich vielleicht wenden könnten mit einer bestimmten Frage, einem bestimmten Informationsbedarf.

Skaltsas: Nachdem die Teilnehmenden die Tutorien durchlaufen haben, können sie sich für Hospitationen anmelden. Hospitationen sind sowohl am Standort Mitte als auch am Virchow-Klinikum möglich. Vor Ort begleiten die Studierenden dann die Kinderärztinnen und -ärzte in das sogenannte Kinderzimmer, das sich auf der Wochenbettstation befindet. Dort erleben sie die U2-Untersuchungen der neugeborenen Kinder hautnah mit, die zwischen dem dritten und zehnten Lebenstag durchgeführt werden. Anschließend können die Studierenden die Eltern der Kinder über das Patenschaftsprojekt informieren und – wenn Zeitpunkt und Chemie passen – fragen, ob sie Patin bzw. Pate des Kindes werden dürfen. Die Eltern müssen sich nicht direkt entscheiden, sondern haben die Möglichkeit, sich bei uns zurückzumelden.

Schwarzlmüller: Eltern, die sich für eine Teilnahme entscheiden, sehen eventuell, dass sie darüber ein Stück weit die Kinderärztinnen und -ärzte von morgen formen können.

Und die Studierenden, die eine Patenschaft übernommen haben, begleiten die verschiedenen U-Untersuchungen bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes?

Skaltsas: Genau. Je nachdem, wie das Verhältnis zueinander ist und wie die eigenen Kapazitäten sind, können die Studierenden auch zu den Impfungen der Kinder mitgehen. Manche treffen sich darüber hinaus auch privat mit den Eltern und dem Kind, ganz unabhängig von ärztlichen Terminen. Das ist sehr individuell. Alles kann, nichts muss!

Welche Ziele verfolgt „Studierende werden Pat:innen“?

Schwarzlmüller: Ich denke, es sind primär zwei Ziele: Zum einen wollen wir natürlich einen Teil zur Ausbildung unserer zukünftigen Kinderärztinnen und -ärzte beitragen, indem wir sie über einen längeren Zeitraum praxisbezogene Erfahrungen sammeln lassen. Zum anderen streben wir eine Verbesserung der Lehre an. Wir würden das Projekt gerne auf andere Universitäten ausweiten, um möglichst vielen Studierenden eine Patenschaft zu ermöglichen. Bei Gelegenheiten wie den Mitgliederversammlungen der Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland e.V. kommunizieren wir immer, dass wir sehr offen sind, andere zu unterstützen, wenn sie ein ähnliches Projekt auch in ihrer Stadt, an ihrer Universität bzw. Uniklinik aufbauen möchten.

Skaltsas: Ein Wunsch von uns ist auch, den Studierenden gewisse Soft Skills mitzugeben, sodass sie langfristig in ihrem späteren Berufsleben von der Teilnahme an dem Projekt profitieren.

Hoffmann: Genau. Gerade in der Kindermedizin behandelt man im Prinzip die ganze Familie. Da sitzt nicht nur eine Patientin oder ein Patient vor einem, die bzw. der isoliert betrachtet wird. Und weil man leider häufig unter Zeitdruck steht, ist es umso wichtiger, schnell ein Gefühl dafür zu bekommen: Was ist das für eine Familie? Ist das möglicherweise eine Familie, die sozial viel Unterstützung braucht und nur nach außen hin, nur auf den ersten Blick stabil wirkt? Wir hoffen, dass unser Projekt ein bisschen dafür sensibilisieren kann.

Pudasaini: Daneben wollen wir auch verstärkt auf den Präventionsgedanken in der Pädiatrie aufmerksam machen. Kindermedizin betrifft selten schwer kranke Kinder, sondern setzt den Fokus darauf, was getan werden kann, damit Kinder eben nicht krank werden. Es gibt viele Familien, denen es schwerfällt, das System dahinter zu verstehen. Nicht alle von ihnen wissen beispielsweise, dass es die U-Untersuchungen gibt. Ich finde den Gedanken sehr schön, dass wir mit unserem Projekt dazu beitragen, gesellschaftlicher Ungleichheit zu begegnen und gewisse Lücken zu füllen – zumindest lokal hier in Berlin.

Wie machen Sie die Studierenden auf die Möglichkeiten, die die AG bietet, aufmerksam?

Pudasaini: Zu Beginn haben Tara und ich viel Werbung mithilfe von Plakaten gemacht und standen damit beispielsweise in den Impfzentren der Charité, wo wir zu der Zeit viele Medizinstudierende erreichen konnten. Unsere Website haben wir auch schon früh aufgebaut.

Skaltsas: Und ich dachte mir irgendwann, nachdem ich die Leitung übernommen hatte, wer nutzt denn heute noch Webseiten für den ersten Eindruck? Das läuft doch alles über Instagram! Sie lacht: Daher haben wir einen Instagram-Account ins Leben gerufen. Den gibt es jetzt seit etwa einem Dreivierteljahr. Daneben sind wir auf dem AG-Marktplatz vertreten, der sich vor allem an die Erstsemester richtet, und bieten Info-Treffen an, bei denen Interessierte ihre Fragen stellen können. Und relativ neu sind bei uns jetzt Vorträge von verschiedenen Expertinnen und Experten zu spannenden Themen bezüglich kindlicher Gesundheit, zu denen wir interessierte Studierenden und Eltern einladen.

Hoffmann: Dabei ist es uns ein besonderes Anliegen, vor allem den Eltern bzw. Familien diesen zusätzlichen Raum zu geben, alle möglichen Fragen stellen zu können, seien sie noch so – vermeintlich – banal. Während der Untersuchungen der Kinder bleibt dafür häufig nicht genügend Zeit oder die Hemmschwelle ist zu groß, weil die medizinische Umgebung ungewohnt ist und sowieso schon so viel Neues zu verarbeiten ist. Wir wollen Möglichkeiten des intensiveren Austauschs schaffen und das im Rahmen dieser Vorträge weiter ausbauen.

Woher kam der Impuls, sich bei der Stiftung Charité auf Projektförderung zu bewerben?

Hoffmann: Uns war relativ schnell klar, dass gerade in der Gründungsphase Kosten anfallen werden. Einen Teil davon haben Samipa und ich selbst gedeckt, aber auf Dauer war uns das als Studentinnen nicht möglich. Also habe ich gegoogelt und zunächst geschaut, was es Charité-intern für Fördermöglichkeiten gibt. Dabei bin ich auf die Ausschreibung für den Max Rubner-Preis der Stiftung Charité gestoßen, auf den wir uns ursprünglich sogar beworben hatten. Wie soll ich sagen; das war natürlich ein bisschen nach den Sternen gegriffen! Aber so kam eins zum andern. Als ich im Nachgang zur Bewerbung noch einmal telefonisch Kontakt zur Stiftung aufgenommen habe, wurde ich ermutigt, es mit der Idee in der Projektförderlinie zu probieren.

Wenn Sie an die Anfänge der AG zurückdenken, woran denken Sie dann? Was nehmen Sie aus den letzten drei Jahren Projekt- und Teamarbeit mit?

Pudasaini: Am Anfang war es nicht leicht, das Projekt in der Klinik zu realisieren, da wir aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen nur schwer Hospitationen für die Studierenden ermöglichen konnten. Diese Zeit ist glücklicherweise vorbei, aber wir müssen uns natürlich weiterhin an die aktuellen Gegebenheiten anpassen, beispielsweise, wenn im Winter die nächste Erkältungswelle beginnt. Das war sozusagen einer der vielen Lerneffekte: das Projekt trotz Einschränkungen und anderen Verpflichtungen, die wir ja ebenfalls erfüllen mussten, gut am Laufen zu halten. Tara und ich haben parallel unsere Staatsexamensprüfungen abgelegt und Doktorarbeiten geschrieben! Langfristig hat uns die Teamarbeit geprägt. Wir haben gelernt zu fragen: Wer hat welche Stärken und wie können wir diese am besten nutzen? Hinzu kommt noch dieses Privileg, schon im Studium lehren zu können und gleichzeitig selbst auch immer weiter zu lernen, in den Austausch darüber zu gehen, welche unterschiedlichen Erfahrungen in der Pädiatrie von den Teilnehmenden gesammelt wurden. Ich bin überzeugt: Das hat uns viel mit auf den Weg gegeben, wovon wir auch in Zukunft profitieren können.

Frau Skaltsas, Frau Schwarzlmüller, Sie waren selbst als Patinnen aktiv. Gab es etwas, das Ihnen aus dieser Zeit nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist?

Skaltsas: Mir fallen mehrere ‚Lieblingsmomente‘ ein. So zum Beispiel bei der U6-Untersuchung, als mich mein Patenkind direkt angestrahlt und mir gewinkt hat, als ich den Raum betreten habe. In dem Augenblick dachte ich: Wow, es erkennt mich! Oder das Foto vom ersten Geburtstag, dass mir die Mutter noch am gleichen Tag geschickt hat, und auf dem zu sehen war, wie sehr sich mein Patenkind über sein Geschenk freute. Und beim Charité-Kinderfest diesen Sommer gab es auch einen herzerwärmenden Moment. Mein Patenkind hatte einen Tag zuvor mit dem Laufen angefangen; also kam es gleich auf mich zu gerannt, als es mich sah. Das war sehr süß!

Schwarzlmüller: Ich war allgemein sehr überwältigt davon, wie offen mir die Mutter meines Patenkindes begegnet ist. Die psychosozialen Aspekte, die sich durch die Geburt eines Kindes verändern, mitzubekommen und die Perspektive der Eltern miterleben zu dürfen, finde ich großartig. Ich interessiere mich sehr für die Schnittstelle von Pädiatrie und Gynäkologie und muss sagen: Solche Einblicke sind ein Privileg! Und natürlich der Bezug zu meinem Patenkind: Man hat die Chance das Kind aufwachsen zu sehen und eine vertrauensvolle Bindung zu Kind und Eltern aufzubauen. Das ist eine wunderschöne Erfahrung, wie ich finde. Auch auf der fachlichen Ebene war die Einbindung durch den behandelnden Arzt des Kindes toll. Er hat mich teils selbst abhören lassen und mich einbezogen, wo es ging.

Zum Abschluss: Haben Sie einen Wunsch für die Zukunft von „Studierende werden Pat:innen“?

Pudasaini: Ja! Dass die Patenschaften langfristig besser ins Curriculum integriert werden! Von Professor Bührer, dem Leiter der Klinik für Neonatologie, wissen wir, dass es so etwas Ähnliches wie unser Programm im Rahmen eines Wahlpflichtmoduls früher einmal gab in der Neonatologie – also, dass Studierende je ein Kind auf der Station über mehrere Monate begleitet und tatsächlich jeden Nachmittag besucht haben.

Hoffmann: Aktuell arbeitet Athanassia daran, dass die Patenschaften als Option im Lernzentrum aufgenommen werden. Wenn das klappt, gäbe es in Zukunft Leistungspunkte aus dem Wahlpflichtbereich für die Patinnen und Paten.

Marike de Vries & Dr. Nina Schmidt
Juli 2023