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Ein Stipendium für Deutschland

Samaa Hijazi wuchs als Jordanierin in Damaskus auf. Mit der Entwicklung der syrischen Revolution in einen Bürgerkrieg wurde das Leben der jungen Medizinstudentin dort jedoch immer schwieriger. So begann eine Odyssee mit zahlreichen Hindernissen, die sie letztendlich nach Deutschland zum Medizinstudium an die Charité führte. Die Deutschlandstipendiatin hat uns berichtet, wie sie es schaffte, diesen Traum zu verwirklichen.

Der Zufall wollte es, dass ich zeitgleich mit der Revolution in Syrien meinen Schulabschluss machte. Zu diesem Zeitpunkt bemerkte man bereits, dass der Alltag komplizierter wurde. Meine Mutter ist Syrerin und mein Vater Jordanier. Da ich seine Staatsbürgerschaft habe, hätte ich laut eines neuen Gesetzes viel Geld für ein Studium zahlen müssen. Aufgrund meiner Noten bekam ich aber ein Stipendium und konnte Medizin studieren. Allerdings wurde bereits ab dem zweiten Jahr der Betrag reduziert und meine Familie musste für das restliche Geld aufkommen. Damals kam eine Art Deutschland-Fieber in Syrien auf und zahlreiche Studierende ließen ihre Unterlagen ins Deutsche übersetzen. Erst ließ ich mich davon nicht beeinflussen, doch die Lage spitzte sich immer mehr zu. Zunächst musste nur mein Bruder an Checkpoints seinen Pass vorzeigen, dann auch ich. Immer wieder wurde man von Soldaten bedroht. Für meine Familie wurde es zunehmend schwieriger, jährlich 5000 Euro für mein Studium aufzubringen. Da wagte ich es und brach nach Jordanien auf, zwei Wochen später war der Weg nicht mehr passierbar.

„Ich habe Deutsch gelernt wie eine Verrückte“

Es war ein unglaubliches Abenteuer. Ich habe bei Freunden gewohnt und Deutsch gelernt wie eine Verrückte. Aufgrund von Gerüchten, die in Syrien kursierten, habe ich mich für einen Intensivkurs am Goethe-Institut angemeldet. Es hieß, dass jeder Medizinstudent ab dem achten Semester monatlich 2.500 Euro erhielte. Oder dass man ein Stipendium für ein Studium in Deutschland bekäme, wenn man drei Kurse mit Bestnote bestehe. Wir waren so hoffnungslos, dass wir alles glaubten. Nach dem Kurs fragte ich, ob das wahr sei – war es natürlich nicht. Für ein Studium in Deutschland brauchte man ein B2-Niveau, welches fünf weitere Kurse bedeutet hätte. In Jordanien gestaltete sich jedoch mein Leben komplizierter als gedacht, deswegen wollte ich alles so schnell wie möglich abschließen und habe stattdessen zu Hause gelernt. Nach einem Monat war ich bei einer Vorbereitungssitzung für die B1-Prüfung im Goethe-Institut. Die Leiterin erinnerte sich an mich und meinte verblüfft: ‚Sie schreiben die Prüfung?‘

Samaa Hijazi

Förderprogramm
Deutschlandstipendien

Förderzeitraum
2014 bis 2017

Fachgebiet
Humanmedizin

Institution
Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

2016 und 2017

Veröffentlichung ihres Buchs „Ich komme aus Syrien: Leben zwischen Orient und Okzident“ und Gründung des Projektes „Schulgeld für Kinder in Syrien“

2014

Umzug nach Deutschland und Beginn des Studiums an der Charité – Universitätsmedizin Berlin

2011

Abitur in Syrien mit dem Anfang des Bürgerkriegs

Nachdem ich diese problemlos bestand, war sie freundlicher zu mir. Das erleichterte es mir sicherlich, tatsächlich ein Stipendium zu erhalten. Allerdings ist es unglaublich schwierig, ein Studentenvisum zu bekommen. Man muss entweder einen deutschen Bürgen finden oder viel Geld auf einem deutschen Konto vorweisen.

„Manchmal sitze ich im Seminar und weiß, dass es gerade einen Angriff auf unsere Stadt gibt“

Ich bekam ein Stipendium für einen einmonatigen Sprachkurs in Mannheim. Dort versuchte ich alles, um in Deutschland zu bleiben. Es hat aber nicht funktioniert, also gab ich die Hoffnung auf und kehrte nach Syrien zurück. Als ich das erste Mal wieder im Seminar saß, schauten mich alle an als sähen sie ein Gespenst. Sie hielten mich für verrückt: „Du warst in Deutschland und bist jetzt wieder hier?“  Nach einem halben Jahr erhielt ich eine E-Mail von der Deutschen Botschaft. Ich sollte nach Jordanien kommen, um zu erfahren, ob mein Visaantrag bewilligt wurde. Ob ich fahre, ließ ich meine Eltern entscheiden. Natürlich wollten sie, dass ich bleibe, aber in Syrien war es gefährlich und sie wollten meinem Traum nicht im Weg stehen – dafür bin ich Ihnen sehr dankbar. In der Botschaft bekam ich schließlich das Visum und konnte für mein Studium nach Deutschland ziehen.

Meine Familie war dann für eine Weile in Jordanien, aber es war schwierig für sie. Nun sind sie zurück in Syrien. Manchmal sitze ich im Seminar und weiß, dass es gerade einen Angriff auf unsere Stadt gibt und meine Familie auf der Flucht ist. Natürlich versuche ich, sie nach Deutschland zu holen. Ich würde gerne einen Einbürgerungsantrag einreichen, aber das geht erst nach acht Jahren, in besonderen Fällen nach sechs. Ich möchte Deutsche sein, da man mit der deutschen Staatsbürgerschaft mehr bewegen kann als mit der jordanischen. Sie verleiht einem eine stärkere Stimme und mehr Einflussmöglichkeiten in der Welt.

„Ich glaube, dass in Deutschland alles möglich ist“

An Politik habe ich in Jordanien oder Syrien gar nicht gedacht, wohl aber in Deutschland. Ich glaube, dass in Deutschland alles möglich ist. Später möchte ich als Oberärztin in der Gynäkologie arbeiten und zusätzlich humanitäre Organisationen im Ausland unterstützen. Zwar hoffe ich, dass der Krieg in Syrien bis dahin vorbei ist, sonst möchte ich dort helfen. Ich liebe die Idee, Menschen die Schmerzen nehmen zu können. Manchmal ärgert es mich, das Gefühl zu haben, die Welt verändern zu müssen. Ich halte es für meine Verantwortung. Dann bereitet es mir ein schlechtes Gewissen, dass ich in Deutschland bin. Meine Freunde aus Syrien teilen viele Fotos in sozialen Netzwerken, schließlich geht das Leben dort weiter. Das macht mich glücklich, aber ich würde trotzdem nichts aus Deutschland posten.

Der Krieg hat mich stark beeinflusst. An manchen Punkten habe ich mich gefragt, woher meine Kraft kommt. Ich war die Jüngste in meiner Familie – ein bisschen die Prinzessin. Plötzlich musste ich alles alleine machen. Ich kam nach Deutschland mit einem Koffer, der fast so groß war wie ich. Ein Freund wollte mir helfen und hat es nicht geschafft, ihn zu tragen – da habe ich es selbst gemacht. Das Deutschlandstipendium bedeutet für mich eine finanzielle Unterstützung im Alltag. Außerdem freut es mich, dass für die Stiftung nicht nur die Noten zählen, sondern dass sie sich auch die Menschen dahinter anschauen. Es gab viele Schwierigkeiten auf meinem Weg hierher, also ist es schön, dass man auf der anderen Seite etwas zurückbekommt.

April 2017 / MM