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Die digitale Rheinländerin in der Berliner IT-Szene

Sylvia Thun ist Expertin für Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen und baut als BIH Visiting Professor eine eHealth und Interoperability Core Unit auf. Dafür pendelt sie in regelmäßigen Abständen zwischen dem Rheinland und Berlin. Wir nutzten die Chance, uns sowohl analog als auch digital zur Entwicklung von eHealth in Deutschland und ihrer Erfahrung als rheinische Frohnatur in der Hauptstadt auszutauschen.

Frau Professorin Thun, Hand aufs Herz  auch als „Digitaler Kopf“: Gibt es Bereiche in Ihrem Leben, die Sie lieber analog führen wollen?

Ja, da fällt mir vor allem mein Sport ein: Karate. Da ist es gesünder, keine Wearables, also tragbare Computersysteme, zu tragen, da sie den Gegner verletzen könnten.

Wo sind Ihrer Meinung nach eindeutig Grenzen bei der elektronischen Verarbeitung, Nutzung und dem Austausch von Daten zu ziehen?

Sobald ein Mensch seine Daten nicht freigeben möchte, sollte das auch so umgesetzt werden. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Anbieter müssen dafür leicht verständlich sein und es müssen hohe Strafen für "Datenräuber" in unseren Gesetzen verankert werden. Das ist kein Kavaliersdelikt!

Welche Entwicklung im Bereich eHealth hat in Ihren Augen momentan eine besondere Erfolgsaussicht? Und was ist zurzeit die größte Herausforderung?

Die regulatorischen Anforderungen aus Europa und der Bundesbehörden, wie etwa das Infektionsschutzmeldesystem des Robert Koch-Instituts oder die Vorkommnis-Meldung von Medizinprodukten beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information, sind unsere großen politischen Herausforderungen. Dabei geht es um die Sicherheit der Menschen in unserem Land und weltweit. Wir haben dafür weltweite Standards spezifiziert, die derzeit implementiert werden. Für zukünftige Entwicklungen ist die onkologische Therapie mittels neuer molekularbiologischer und -pathologischer Methoden, die zusammen mit den Daten des Patienten zur richtigen Therapieentscheidung führen können, ein großes und wichtiges Feld.

Wie sähe der barrierefreie Austausch medizinischer Daten im Klinikalltag in einer idealen Welt aus?

Schon bei der Eingabe der Daten wären Standards hinterlegt, die der Arzt oder Dokumentar aber gar nicht spürt. Diese Daten würden dann in andere Systeme fließen und allen behandelnden Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung stehen. Auch der Patient hätte Zugriff auf die über ihn erhobenen Daten und könnte sie gegebenenfalls anonymisiert der Wissenschaft zur Verfügung stellen.

In einem anderen Interview sagten Sie, Patienten haben ein Recht auf IT-Standards. Für wen bedeutet die Standardisierung den meisten Aufwand und wer kann profitieren?

Von IT-Standards profitiert jeder: Die IT-Industrie hat eine Investitionssicherheit ihrer Produkte und kann diese wiederverwenden.

Sylvia Thun

Förderprogramm

BIH Visiting Professors

Förderzeitraum

2018 bis 2023

Fachgebiete

Medizinische Biometrie, Medizinische Informatik

Vorhaben

Einrichtung einer eHealth und Interoperability Core Unit

Institution

Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH)

 

Seit 2011

Professorin für Informations- und Kommunikationstechnologien im Gesundheitswesen und Direktorin des eHealth Kompetenzzentrums (eHCC), Hochschule Niederrhein, Krefeld, Deutschland

2004 bis 2011

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln

2000 bis 2004

Senior Beraterin und Geschäftsstellenleiterin der synaix-Healthcare; Beratung für das Gesundheitswesen GmbH, Aachen

Der Patient kann in verschiedenen Anwendungen seine Daten hin- und her transferieren und diese dem Arzt, den Pflegern, den Therapeuten und dem Apotheker oder seinen Angehörigen zur Verfügung stellen. Wissenschaftler und die Pharmaindustrie hätten dadurch Datensätze, auf deren Erkenntnissen sie bessere Therapien und Produkte anbieten können.

Mit welchem Argument erklären Sie den Menschen, warum IT-Standards jeden etwas angehen?

IT-Standards retten Leben und vernetzen die Welt friedlich.

Gibt es Parallelen zwischen Ihren Strategien beim Karate und der Überzeugung von Kritikern der Digitalisierung?

Ich greife niemals an. Gibt es jedoch populistische Argumente gegen sinnvolle digitale Anwendungen, bin ich mit meinem 2. DAN durchaus in der Lage, diese mit guten Argumenten zu zerschlagen.

Wie viele Frauen gibt es denn heutzutage im IT-Bereich? Ist da noch viel zu tun oder sind sie längst auf der Überholspur?

Schauen wir uns die Podien und Führungskräfte sowie W3-Professuren im Bereich Digital Health an: Da scheint es keine Frauen zu geben. Also ja, es ist noch sehr viel zu tun. Die Initiative SHEHEALTH will hier Abhilfe schaffen.

Sie pendeln regelmäßig zwischen dem Rheinland und Berlin. Angela Merkel beschwerte sich einst in einem Interview mit Tote Hosen-Sänger Campino, die „Döner-Kultur im Rheinland liege am Boden“. Gibt es umgekehrt etwas, das Sie in Berlin vermissen?

Berlin und die Berliner sind wundervoll und Berlin ist erfrischend bunt. Eigentlich vermisse ich nur den Karneval. Was erwarten Sie für eine Antwort von einer in Köln geborenen Rheinländerin?

Wie erleben Sie beide Regionen jenseits der Stereotype? Sind die Rheinländer wirklich offener als die Menschen in Berlin?

Rheinländer schunkeln und singen häufiger und sind dabei sehr offen. In Berlin würde ich das nicht probieren. Dafür gibt es eine Clubszene in Berlin, in der Menschen jeden Alters um jede Uhrzeit tanzen können und sich wohl fühlen. Da schunkelt man ja gewissermaßen auch.

Januar 2019 / MM