Die Rolle der epigenetischen Software in der Erforschung von Rheuma
Steffen Gay verbringt als BIH Visiting Professor mehrere Monate in Berlin, um an der Charité eine klinische Studie zum Ansprechen von Patienten auf verschiedene Rheuma-Medikamente durchzuführen. Was den einst aus Leipzig stammenden und am Max-Planck-Institut in München-Martinsried ausgebildete Wissenschaftler nach über 40 Jahren im Ausland zurück nach Deutschland bringt, hat er uns während seines Aufenthalts in Berlin erzählt.
Herr Professor Gay, wenn man sich Ihren Lebenslauf anschaut, stößt man immer wieder auf Orte mit einer zeitgeschichtlichen Note. Was haben Sie dort erlebt?
Ich bin zu DDR-Zeiten im Erzgebirge aufgewachsen und habe in Leipzig Medizin studiert. Mit meiner Frau, die auch Medizin studierte, haben wir beide unsere Ausbildung in München fortgesetzt. Dort habe ich über die Bindegewebserkrankungen geforscht. In diesem Zusammenhang konnte ich mit Fluoreszenz-markierten Antikörpern die Verteilung der Strukturproteine in Kollagenen in verschiedenen humanen Geweben nachweisen. Ich hatte aber immer das Ziel, nach Amerika zu gehen. Da man dort an meiner Technologie interessiert war, habe ich schließlich ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft bekommen, um in Birmingham, Alabama, diese Fluoreszenz-Technologie einzuführen. Birmingham erinnert zunächst an Rassenunruhen und den Ku-Klux-Klan, der dort sehr aktiv war. Allerdings war die Forschung der University von Alabama (UAB) exzellent unter der herausragenden Leadership vonJ. Claude Bennet, der übrigens auch am Aufbau des Deutschen Rheumaforschungszentrums hier in Berlin wirkte, weshalb wir viele Jahre, d.h. 20 Jahre, unserer wissenschaftlichen Karriere dort verbrachten. Der damalige Gouverneur, George Wallace, baute insbesondere die Herzchirurgie und das Krebszentrum aus, so dass die klinische Immunologie/Rheumatologie an der UAB zu einer der größten Abteilungen weltweit wurde.
Nun arbeiten Sie in der Schweiz. Was lockte Sie aus den USA zurück nach Europa?
Vor 22 Jahren bekam ich ein Angebot, als Professor für experimentelle Rheumatologie in Zürich ein Forschungszentrum zu übernehmen. Insbesondere der Bereich Epigenetik reizte mich sehr. Meiner Frau eröffnete sich ebenfalls eine interessante Perspektive in der Schweiz und wir sind dem Ruf gefolgt.
Können Sie für einen Laien erklären, worum es bei der Epigenetik geht?
Unsere DNA ist in Chromosomen zusammengepackt und um kleine Kügelchen gewickelt, sonst wäre sie etwa zwei Meter lang. Nur zwei Prozent davon werden genutzt, den Rest hat man lange als Junk, Müll also, bezeichnet. Heute weiß man, dass Gene an- und abgeschaltet werden. Diese regulatorischen Prozesse nennt man Epigenetik. Unser Wissen besteht in großen Teilen aus Studien, die besagen, welches Gen mit welcher Krankheit assoziiert ist. Wie genau die jeweilige Krankheit ausgelöst wird, weiß man nicht.
Förderprogramm
BIH Visiting Professors
Förderzeitraum
2017 bis 2018
Fachgebiet
Rheumatologie, Klinische Immunologie, Allergologie
Vorhaben
Entwicklung neuartiger Biomarker zum Nachweis der Reaktion auf Antirheumatika. Entwicklung eines Methylierungs-FACs-Färbetests
Institutionen
Charité – Universitätsmedizin Berlin und Rheumaklinik im Universitätsspital Zürich, Schweiz
Seit 1996
Professor für Experimentelle Rheumatologie, UniversitätsSpital Zürich (USZ), Schweiz
1984 bis 1996
Professor für Medizin, Abteilung Klinische Immunologie und Rheumatologie, University of Alabama at Birmingham, Alabama, USA
1972
Abschluss des Medizinstudiums an der Universität Leipzig, Deutschland
Jedes Gen hat eine Art Zugmaschine, einen sogenannten Promoter. Hängen sich Methyl- und Acetylgruppen an diesen, können keine anderen Stoffe mehr andocken, um das Gen anzuschalten. Alleine für Methylgruppen befinden sich etwa zwei Millionen solcher Schalter im menschlichen Körper, und wenn diese nicht funktionieren, wird man krank. Häufig werde ich gefragt, ob die Regulation daher wichtiger als die Genetik sei. Eine ähnliche Frage wäre es, ob beim Computer die Hardware oder die Software wichtiger ist...
...und die Epigenetik ist dann also die Software. Womit genau beschäftigen Sie sich aktuell?
Ich habe im Bereich der Rheumatologie die gesamte Entwicklung von Arzneimitteln mitverfolgt.
Rheumamedikamente kosten bis zu 20.000 Euro pro Jahr, aber die Krankheit ist nicht heilbar und nur 60 Prozent der Patienten sprechen voll auf die Therapien an. Daher untersuchen wir die eben beschriebenen Schaltmechanismen. Bei Rheumatoider Arthritis (RA) fressen sich bestimmte Zellen der betroffenen Gelenke, die Fibroblasten, in den Knorpel und den Knochen ein. Wir konnten zeigen, dass bei diesen Zellen viele Methylgruppen fehlen, wodurch Entzündungsvorgänge angeschaltet sind und die Zellen aggressiv werden. Diese Aktivierungsvorgänge am Gelenk wollen wir auch im Blut messen. Deshalb untersuchen wir, ob die Entzündungszellen, die aus dem Blut in das Gelenk wandern, weniger Methylgruppen haben und deshalb mehr aktivierende Stoffe binden können. Wir beobachten bei Patienten, ob im Verlauf der Therapie der Methylisierungsgrad ansteigt. Sollte er sich nicht verändern und die Symptome nicht abnehmen, sind diese Patienten sogenannte Nicht-Responder. Dann könnte man das Medikament absetzen, da es nicht wirken wird.
Was bewegte Sie dazu, die Studie in Berlin durchzuführen?
In Zürich machen wir mehr Grundlagenforschung, daher haben wir keine so große Clinical-Trial-Unit. Das bedarf einer immensen Infrastruktur: Hier in Berlin werden an einem Tag die Patienten für die Therapie einbestellt, Blut wird abgenommen und muss innerhalb von ein bis zwei Stunden untersucht werden. 14 oder 28 Tage später wird das Ganze dann wiederholt. Die Kooperation mit der Charité war essentiell für die Durchführung des Projekts. Das Deutsche Rheuma-Forschungszentrum hier in Berlin ist für diese aufwendigen Versuche ideal ausgestattet und wir können sie dort durchführen.
Was wollen Sie mit Ihrer Forschung erreichen?
Unsere Forschung möchten wir letztendlich an den Patienten bringen. Deshalb versuchen wir, unsere Grundlagenforschung in neue Therapiestrategien und Patente umzusetzen. Unsere Ergebnisse sollen dazu beitragen, dass die Therapiesituation bei Rheuma sich bessert und Patienten in Zukunft unwirksame Therapien erspart bleiben. Das Rheuma-Forschungszentrum ist an eine der größten Universitätskliniken Europas angeschlossen, welche Patienten aus der gesamten Region anzieht. Außerdem finde ich es wichtig, mit internationalen Kollegen zu interagieren und voneinander zu lernen. Um innovativ zu sein, braucht man fremde Meinungen zu seinen Forschungsprojekten. Auch deswegen war die Charité ein wichtiger Standort für unsere Studie.
November 2017 / MM