Dem Stress auf den Fersen
Vielen Menschen trieb es bereits zu Schulzeiten den Schweiß auf die Stirn, wenn der Mathelehrer sie zur Lösung einer Gleichung vor der gesamten Klasse an die Tafel bat. Ähnlich ergeht es den Probanden in einer Studie von Stefan Röpke und seiner Arbeitsgruppe zu posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS): Im sogenannten Trier-Social-Stress-Test müssen Probanden vor einer Jury einen Vortrag halten – nur nimmt die Jury eine sehr abweisende Haltung ein, egal, was die Person sagt. Wenig verwunderlich, dass dies bei vielen Menschen Stress auslöst. Probanden der Kontrollgruppe hingegen müssen den Vortrag lediglich für sich selbst aufsagen. Im Anschluss wird beiden Gruppen dann ein Film gezeigt, der kurzzeitig auch bei gesunden Menschen die Symptome einer PTBS provozieren kann. Es handelt sich um ungewollt auftretende verstörende Bilder – etwa von Autounfällen, Kriegsszenen oder Gewaltexzessen.
Stefan Röpke, Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité, erklärt: „Menschen haben die Fähigkeit, sich belastende Ereignisse besser zu merken, um Fehler nicht zu wiederholen oder gefährlichen Dingen mit besonderer Vorsicht zu begegnen. Bei der Verarbeitung solcher Ereignisse entstehen bei einigen Menschen intrusive Erinnerungen. Das sind sich immer wieder aufdrängende Erinnerungen oder Bilder eines vergangenen Ereignisses.“ Betroffene bekommen durch ähnliche Reize, Geräusche oder Gerüche in der Umwelt das Gefühl, das Geschehene noch einmal zu erleben. Dies kann soweit führen, dass die Betroffenen „aus ihrem Alltag herausgerissen werden und bestimmte Situationen sogar vollkommen vermeiden, wodurch sich ihr Leben immer mehr einschränkt“, berichtet Röpke. Derartige Intrusionen sind oftmals die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung. Im Falle von Soldaten, die aus Auslandseinsätzen wiederkehren, ist die Öffentlichkeit für diese Problematik zumindest teilweise sensibilisiert. Außerdem wird das Thema auch im Zusammenhang mit schwer traumatisierten Geflüchteten zunehmend öffentlich debattiert.
Stefan Röpke und sein Team werden in der Klinik täglich mit dem Problem intrusiver Erinnerungen bei Patienten mit PTBS konfrontiert. Als problematisch erweist es sich dabei, dass über die Entstehung solcher Störungen noch wenig bekannt ist: „Man kennt zwar bestimmte Einflussfaktoren, die beziehen sich aber beispielsweise auf frühere Traumata oder Schuldgefühle“, erklärt er. Auch gibt es psychotherapeutisch einige erfolgreiche Ansätze, doch fehlen wirksame pharmakologische Mittel. Daher versucht seine Forschungsgruppe, zu ermitteln, was bei der Auslösung dieser Belastungsstörungen in den Stresssystemen des Körpers auf biologischer Ebene passiert. So ließen sich potenziell in Zukunft diese Auslösemechanismen beeinflussen und die erlangten Erkenntnisse sowohl zur Vorbeugung als auch zur Behandlung von PTBS nutzen.
Stefan Röpke und sein Team unterziehen ihre Probanden daher der Einwirkung verschiedener Stressfaktoren, um den Einfluss von Hormonen auf die Ausbildung intrusiver Erinnerungen nachzuempfinden.
Förderprogramm
BIH Clinical Fellows
Förderzeitraum
2015 bis 2017
Fachgebiet
Psychiatrie und Psychotherapie
Vorhaben
Der Einfluss des Plasma-Cortisol-Spiegels zum Zeitpunkt der Gedächtnis-Konsolidierung eines belastenden Ereignisses auf die Häufigkeit nachfolgender intrusiver Erinnerungen
Institution
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Seit 2002
Arzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Charité-Universitätsmedizin Berlin
1999
Forschungsassistenz im Bereich Immunologie am Institut Pasteur, Paris, Frankreich
1999 bis 2001
Assistenzarzt im Bereich Innere Medizin am Centre Hospitalier Universitaire Paris, Frankreich
Im Experiment wurde beobachtet, wie häufig und intensiv sich bei den Versuchsgruppen Bilder der gezeigten Filmausschnitte aufdrängten. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Filmausschnitte bei denjenigen Probanden zu vermehrten Intrusionen führen, deren biologische Stresssysteme zuvor durch den Stresstest aktiviert wurden. In Stresssituationen schüttet der menschliche Körper Hormone wie Noradrenalin oder Cortisol aus. Die Ergebnisse der Experimente zeigen, dass die Ausschüttung von Noradrenalin und Cortisol während eines traumatischen Ereignisses die Ausbildung von ungewollten Erinnerungen und damit einer posttraumatischen Belastungsstörung begünstigen können.
Zudem fand die Arbeitsgruppe heraus, dass auch die Herzratenvariabilität bei der Entstehung der Intrusionen von Bedeutung ist, da Probanden mit hoher Variabilität geringere Intrusionen entwickelten. Sie bezeichnet das Ausmaß, um welches sich die Abstände zwischen den einzelnen Herzschlägen voneinander unterscheiden.
Die Arbeit an der Studie wurde Stefan Röpke durch die Förderung im BIH Clinical Fellowship Programm der Stiftung Charité ermöglicht. Wenn man ihn fragt, was ihn an die Charité brachte, muss er daher nicht lange nachdenken: Neben der klinischen Arbeit als Psychiater wollte er unbedingt auch forschen. Getrieben von Wissensdurst sucht Stefan Röpke also die Abwechslung. Zum einen durch die Tätigkeit in sowohl Klinik als auch Forschung, zum anderen durch die Abwechslung, die sein Fachbereich bietet. Es sei eine sehr bereichernde Erfahrung für ihn, „die Psyche von Menschen in allen Lebenslagen kennenzulernen und Hilfestellung geben zu können“, so Röpke.
Dass diese unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich mit Stress umgehen, war schon zu Schulzeiten kein Geheimnis. Dass Stress aber auch die Wahrscheinlichkeit beeinflussen könnte, nach negativen Erlebnissen eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, brächte die Wissenschaft auf eine wichtige Spur. Wenn die biologischen Ursachen solcher Störungen besser verstanden werden, ließen sich diese in Zukunft auch besser therapieren.
Oktober 2017 / MM