Dehnen und Schalten der Funktionen von Proteinen auf der Nano-Ebene
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Update 2020:
Wie sich die Covid19-Pandemie auf das Forschungsprojekt ausgewirkt hat, lesen Sie hier in unserem Sonderinterview: Von Zürich nach Berlin, zur Not auch mit dem Fahrrad – Forschungskooperation inmitten einer Pandemie
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Viola Vogel studierte zunächst Physik und Biologie auf Lehramt, doch entschied sich letztlich gegen die Schule und für eine Karriere als Wissenschaftlerin. Mit ihrer Expertise im Bereich der Mechanobiologie brachte sie neue Ideen und Technologien an die ETH Zürich und nun als Einstein BIH Visiting Fellow auch nach Berlin. Mit uns hat sie darüber gesprochen, wie man das Verständnis der Biologie verändern und junge Menschen für die Wissenschaft begeistern kann.
Frau Professorin Vogel, Sie wollten keine Lehrerin werden, aber interessieren sich für die Lehre im akademischen Bereich. Was ist daran anders?
In der Wissenschaft geht es nicht darum, völlig abgestandenes Wissen jedes Jahr wiederaufzubereiten. Mich interessiert die Kombination aus Forschung an den Grenzen des gegenwärtigen Wissensstandes und damit auch die Lehre an diesen Grenzen.
Meinen Sie nicht, es bräuchte mehr innovative Lehrerinnen und Lehrer, um gerade bei jungen Menschen das Interesse für die Forschung zu wecken?
Deswegen ist die Öffentlichkeitsarbeit für uns als Wissenschaftler so wichtig. Die Nacht der Wissenschaft oder die Tage der offenen Tür sind bereits gute Ansätze. Bei uns können Mitarbeiter an einem Tag im Jahr ihre Kinder mitbringen und während einer weiteren Woche können Schulkinder Forscherinnen und Forscher ins Labor begleiten. Leider werden solche Angebote primär von Eltern wahrgenommen, die selbst eine Verbindung zur Wissenschaft haben. Viele Fächer, die zukunftsweisend sind und Jobchancen eröffnen, werden in der Schule gar nicht unterrichtet. Solche Fächer müssen in die Lehrpläne aufgenommen werden, um insbesondere jene Schüler an gesellschaftlich relevante Fachgebiete heranzuführen, die im Privaten keinen Zugang dazu haben.
Sie werden bei der Veranstaltung „Einstein in the dome“ Ihre Forschungsgegenstände im Planetarium vorstellen, wie stellen Sie sich das vor?
Ich bin gespannt, mit welchem Hintergrundwissen die Menschen kommen. Daher habe ich Bilder und Videos zusammengestellt, die durch eine Geschichte Einblicke in die Mikro- und Nanowelt vermitteln. Man kann zum Beispiel sehen, wie eine Makrophage ein Bakterium auffrisst.
Können Sie erklären, was man in der Mechanobiologie untersucht und was das Ganze mit der Nanotechnologie zu tun hat?
Das Leben findet weitab vom Gleichgewicht statt, dennoch ist unser gesamtes biologisches und Medizinwissen auf die Gleichgewichtsstrukturen von Proteinen aufgebaut. Proteine sind die Arbeitstiere in unserem Körper und solange wir leben, sind viele von ihnen mechanischen Kräften ausgesetzt, die an ihnen ziehen.
Förderprogramm
Einstein BIH Visiting Fellows
Förderzeitraum
2018 bis 2020
Vorhaben
Mechanobiologie des Gewebewachstums und der Geweberegeneration
Fachgebiete
Mechanobiologie, Bioengineering
Institution
Charité – Universitätsmedizin Berlin und Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)
Seit 2004
Professur und Vorsteherin (seit 2018) des Departements für Gesundheitswissenschaften und Technologie, Leiterin des Labors für Angewandte Mechanobiologie, ETH Zürich, Schweiz
2001 bis 2003
Mitglied der Technical Advisory Group (TAG) des US President's Council of Advisors on Science and Technology (PCAST), USA
1997 bis 2003
Gründungsdirektorin des Center of Nanotechnology an der University of Washington, Washington, USA
Vor 20 Jahren hat uns die Nanotechnologie Werkzeuge an die Hand gegeben, um zu zeigen, wie Zellen dies nutzen, um mechanische Kräfte zu spüren und in biochemische Signale zu verwandeln. Heute beschäftigen wir uns mit der Frage, wie durch Strecken von Proteinen ihre Funktion geschaltet wird. Doch an den meisten Hochschulen ist die Mechanobiologie noch eine Nischenwissenschaft. Die Biologie wird von den Omics, also den Fachgebieten, welche auf der Verarbeitung großer Datenmengen beruhen, dominiert. Dazu gehören die Genomik, die Proteomik oder die Systembiologie. Die Biochemie wird weiterhin gelehrt, als baue sie auf statischen Strukturen auf, also auf reinen Struktur-Funktions-Beziehungen. Dass man diese mechanisch schalten kann, findet in der Regel keine Beachtung. Wenn ein Antikörper nicht bindet, schließt jeder Biologe daraus, dass das Protein nicht vorhanden ist. Dabei kann es genauso gut sein, dass durch die Streckung von Proteinen Epitope für Antikörper zerstört wurden. Zum Beweis stellen wir Proteinfasern her, die wir in verschiedene Richtungen spannen. Färben wir sie mit Antikörpern an, sieht man nur die nicht gestreckten Fasern.
Schauen Sie denn noch oft selbst durchs Mikroskop?
Ich mache keine Experimente mehr selber im Labor, aber arbeite eng mit meinen Studierenden zusammen. Meine Rolle ist es, Fragestellungen sauber zu definieren, Literatur zu empfehlen oder Daten anzuschauen und zu verstehen. Häufig kommt bei Experimenten etwas Unerwartetes heraus. Dann helfe ich, herauszufinden, ob es an der Durchführung des Experiments lag oder ob es eine Entdeckung ist. Ich selbst versuche, alle fünf Jahre mit neuen Fragestellungen und Fachgebieten anzufangen.
Das bedeutet nicht, dass ich alles Alte wegschmeiße. Aber ich schlage eine neue Richtung ein, in der ich viel lernen muss. Dieses Wissen erarbeite ich mir mit Studierenden und Postdoktoranden zusammen, um neue Methoden in unsere Arbeit zu integrieren. Hierarchie ist Gift für gute Wissenschaft, konstruktiver Austausch funktioniert nur, wenn man mir auch widersprechen kann.
Gerade kollaborieren Sie mit einem Team an der Charité. Welches neue Gebiet entdecken Sie gemeinsam?
Wir hatten vor ein paar Jahren entdeckt, dass das Bakterium Staphylococcus aureus einen Nanoklebstoff entwickelt hat, mit dem es in Wunden anheften kann, indem es den Spannungsgrad von Fasern auslesen kann. So kann dieses Bakterium Wunden von gesundem Gewebe unterscheiden. Der Anschluss an die Charité ermöglicht es uns, mit diesem Nanokleber, den wir als bildgebende Sonde weiterentwickelt haben, die Mechanoeigenschaften der Gewebefasern von verschiedensten gesunden und erkrankten Organen zu untersuchen. Dafür bauen wir zurzeit ein ganzes Netzwerk an klinischen Aktivitäten auf.
Tauschen Sie sich dafür auch mit Forschenden aus anderen Fachgebieten aus?
Die Forschenden in meiner Arbeitsgruppe kommen aus zehn verschiedenen Disziplinen. Allerdings ist es weiterhin schwierig, interdisziplinäre Forschung zu publizieren. Publizierten wir physikalische oder ingenieursbasierte Arbeiten in den entsprechenden Fachzeitschriften, würde sie kein Biologe oder Mediziner lesen. Um in der Biologie oder Medizin wahrgenommen zu werden, müssen wir in diesen Zeitschriften veröffentlichen. Allerdings können deren Redakteure und Gutachter die Methoden der Mechanobiologie und deren Aussagekraft oft nicht so recht einschätzen, da sie ihnen unbekannt sind. Also müssen wir zeigen, dass wir ihr Gebiet ebenfalls beherrschen. Dafür braucht man ein Team aus verschiedensten Disziplinen.
Warum verstecken sich dennoch viele Forschende in ihren Nischen?
Viele Wissenschaftler verlassen ungerne ihre Komfortzone, das macht einen angreifbar. Forschungsinstitute waren lange so aufgebaut, dass man Wissen möglichst im Haus akkumuliert und dort versucht, die Karriereleiter so schnell wie möglich hinaufzusteigen. Nach ein paar Jahren kennt man die wesentlichen Players. Sobald man sich in ein anderes Gebiet wagt, kennt man diese nicht mehr. Es kann vorkommen, dass man noch nicht einmal die Fragen versteht. Physiker, die sich nie mit der Biologie beschäftigt haben, wissen kaum, wie sie hier ihre Methoden effektiv einsetzen können. Sie machen Modelle und Annahmen, die an der Realität vorbeigehen. Darüber schreibt man Publikationen, aber sie verändern nicht die Biologie.
Wie kann man diese Grenzen überwinden?
Man muss mit Menschen zusammenarbeiten, die sich jeweils auf ihrem Gebiet hervorragend auskennen. Solche Kollaborationen prägen einen für viele Jahre. Das Einstein BIH Visiting Fellows-Programm kann in diesem Sinne neues Wissen, neue Gedanken und neue Menschen nach Berlin bringen. So werden Projekte ermöglicht, die sonst vielleicht nicht gemacht würden – High Risk, aber vielleicht auch High Gain.
Oktober 2018 / MM