Meeresbiologin, Journalistin oder doch Clinician Scientist?
Die meiste Zeit steht die Neuropathologin Josefine Radke in der Charité bereit, um Proben, die frisch aus dem Operationssaal kommen, unter dem Mikroskop zu begutachten. Bis vor Kurzem konnte sie zusätzlich in geschützten Forschungszeiten Fragestellungen zur Genetik von Tumoren auf den Grund gehen. Bei einem Treffen erzählte sie uns, an welche Grenzen man als Clinician Scientist geht und in welche Richtung es sie noch hätte treiben können.
Frau Dr. Radke, wieso wollten Sie neben der Arbeit in der Klinik auch noch forschen?
Die Patientenversorgung, das heißt die tägliche histologische Begutachtung und Befundung von histologischem Einsendegut, ist sehr spannend und macht mir großen Spaß. Eine fortschrittliche und zukunftsorientierte Medizin kann es jedoch nur durch Forschung geben. Sie ermöglicht zum Beispiel die Entdeckung prognostisch wichtiger Veränderungen im Erbgut oder die Entwicklung neuer Therapieansätze. In der Forschung hat man die Möglichkeit, verschiedenen Fragestellungen und Hypothesen nachzugehen und diese mithilfe unterschiedlicher wissenschaftlicher Labortechniken zu beantworten. Es ist ein ganz anderes Arbeiten. Routine und Forschung sind verschiedene Welten und ich genieße den Grenzgang. Man braucht eine hohe Frustrationstoleranz und stößt häufig an die eigenen Grenzen. Umso mehr freut man sich über Durchbrüche und Erfolge nach langer, harter Arbeit an einem Thema.
Womit genau befassten Sie sich als Clinician Scientist?
Im Rahmen des von der Stiftung Charité initiierten und geförderten Clinician Scientist-Programms konnte ich an mehreren Projekten arbeiten und Kooperationen aufzubauen. Dafür wäre im klinischen Alltag nicht genügend Zeit gewesen. Mein Hauptprojekt befasst sich mit den genetischen Veränderungen von Tumoren im Lymphgewebe, die zuerst im zentralen Nervensystem auftreten, sogenannte ZNS-Lymphome. Genauer handelt es sich um einen speziellen Subtyp eines bösartigen Lymphoms der B-Zellen, also der weißen Blutkörperchen, welcher sich nur im zentralen Nervensystem, also beispielsweise dem Gehirn nachweisen lässt. Wir wollten genauer beleuchten, wie sich dieser Subtyp von anderen bösartigen B-Zell-Lymphomen unterscheidet und warum er ausgerechnet im zentralen Nervensystem auftritt. Außerdem haben wir uns mit alternativen Therapiemöglichkeiten beschäftigt. Unsere Ergebnisse tragen zu einem besseren Verständnis der genetischen Landschaft dieses Tumors bei. Das Clinician Scientist-Programm ist eine fantastische Möglichkeit, Forschung und Klinik zu verbinden. Ich habe das Gefühl, dass es mich nicht nur zu einer besseren Forscherin, sondern insgesamt zu einer besseren Ärztin gemacht hat.
Förderprogramm
BIH Charité Clinician Scientists
Förderzeitraum
2015 bis 2018
Vorhaben
Molekulare genetische Analyse und präklinische Modellierung von Lymphomen des zentralen Nervensystems
Fachgebiet
Neuropathologie
Institution
Charité – Universitätsmedizin Berlin
2018
Fachärztin für Neuropathologie
2017
Geburt ihrer Tochter Theodora Caroline
2011
Approbation und Promotion
Was führte Sie ursprünglich an die Charité?
Ich wollte Fachärztin für Neuropathologie werden und habe daher geschaut, wo es große Institute mit einem umfangreichen Probeneingang gibt. Dafür ist die Neuropathologie der Charité eine sehr gute Adresse. Hier kann man sicher sein, dass man viel sieht. Für eine gute Ausbildung ist das entscheidend. Die Charité genießt des Weiteren national und international einen guten Ruf. Außerdem komme ich aus der Region und bin hier familiär verankert.
Welche Eigenschaften sollte jemand unbedingt mitbringen, der in die Klinik will? Und welche Eigenschaften braucht man wiederum für die Forschung?
Ich denke, beide Arbeitsfelder setzen ein hohes Maß an Engagement und Konzentration voraus. Im Umgang mit Patienten bedarf es Empathie und Kommunikationsfähigkeit, in der Forschung sind eine hohe Frustrationstoleranz und Beharrlichkeit von Vorteil. Wichtig ist, und das gilt für beide Arbeitsfelder, sich immer wieder selbst zu hinterfragen, auf gesunde Art an der eigenen Arbeit oder der eigenen Vorgehensweise zu zweifeln und offen zu sein für andere Meinungen oder Kritik.
Welchen Ort – außer das Labor und die Charité – verbinden Sie noch mit Ihrem Forschungsbereich?
Meine Standard-Laufstrecke. Beim Laufen fließen die Gedanken. Manchmal kommen dabei sogar neue Ideen oder Lösungsansätze für wissenschaftliche Fragestellungen zustande.
Aus Ihrem Lebenslauf entsteht der Eindruck, dass Sie auch der Ostsee stark verbunden sind. Was gibt es dort, das es in Berlin nicht gibt?
Die Frage ist einfach zu beantworten: Den Menschenschlag, den uneingeschränkten Blick auf den Horizont und das große Wasser.
Während des Fototermins erwähnten Sie, dass Sie früher Meeresbiologin oder Journalistin werden wollten. Wo wären Sie heute, wenn Sie diese Berufe gewählt hätten?
Als ich über diese Berufe nachdachte, hatte ich ein bestimmtes Berufsbild im Kopf.
Als Meeresbiologin sah ich mich auf einem Greenpeace-Forschungsschiff, beschäftigt mit dem Schutz und der Rettung von Walen und Delfinen. Als Journalistin wollte ich auf dem ganzen Globus nach spannenden Geschichten suchen und für die ZEIT oder den SPIEGEL schreiben. Mit zunehmendem Alter wurden die Berufsbilder klarer und realistischer und die romantische Vorstellung trat etwas in den Hintergrund. Das Tolle an der Medizin aber ist, dass es sehr vielfältige Berufsmöglichkeiten gibt, von der Klinikärztin zur Medizinjournalistin. Außerdem verzichte ich seit über zwanzig Jahren – quasi seit ich Meeresbiologin werden wollte – auf Thunfisch und hoffe, dass das bereits einigen Delfinen das Leben gerettet hat.
Dezember 2018 / MM