Das Unsagbare mitteilbar machen
Als Oberärztin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité (PUK SHK) beobachtet Christiane Montag im Klinikalltag immer wieder, dass Patienten mit Psychosen es schwer haben, eine spezifische Psychotherapie zu finden. Bei der Behandlung von Psychosen gibt es einige Besonderheiten, welche wie die Effektivität der Therapie beeinflussen können: „Manchen Menschen mit Psychosen fällt es schwer, ihr inneres Erleben wie z. B. ihre Gefühle wahrzunehmen, zu unterscheiden und in Worte zu fassen. Dies betrifft ganz allgemein ihre Fähigkeit, über psychische Zustände nachdenken und auf dieser Basis die eigene Gefühlswelt oder die anderer Menschen interpretieren und mit Bedeutung versehen zu können, das sogenannte Mentalisierungsvermögen“, erklärt Christiane Montag. Betroffene vermuten deshalb oftmals bösartige Intentionen hinter dem Verhalten ihrer Mitmenschen, die von anderen Menschen gar nicht ausgemacht werden. Daher stellt sich die Frage, ob das Symbolisierungs- und Mentalisierungsvermögen bei diesen Patienten überhaupt hinreichend ausgeprägt ist, um mit den in der psychodynamischen Therapie üblichen Deutungen zu arbeiten.
Sie selbst arbeitet mit psychodynamischer Psychotherapie. Dabei geht man davon aus, dass es unbewusste Konflikte gibt, welche äußere Symptome verursachen. Durch ein Wiedererleben in der therapeutischen Beziehung sollen diese Konflikte offenbar und damit bearbeitbar werden. Laut Christiane Montag fehlt es aber an Studien, welche die Effektivität von psychodynamischen Psychotherapien bei Menschen mit Psychosen untersuchen. Dadurch wurde ihr Ehrgeiz geweckt, die Wirkung von Psychotherapien selbst zu erforschen.
Für die Psychosebehandlung muss die psychodynamische Behandlungsmethode zudem modifiziert werden. Ihre Arbeitsgruppe hat daher zusammen mit Wissenschaftlern der International Psychoanalytic University in Berlin und der Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München die psychodynamische Technik für die Psychosentherapie adaptiert und in einem Manual veröffentlicht. Dabei ist es wichtig, in der Anfangsphase der Behandlung die Möglichkeit einer impliziten, modellhaften Neuerfahrung einer Beziehung zu schaffen, welche die Identität der Betroffenen nicht gefährdet. Auf dieser Basis kann dann unter anderem am Mentalisierungsvermögen gearbeitet werden.
In einer Studie wird derzeit die Wirksamkeit dieses Verfahrens bei Patienten mit Schizophrenie getestet. Die Forschungsgruppe untersucht dabei neben der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit auch spezifische therapeutische Interventionen und deren Auswirkungen auf das Ergebnis der Psychotherapie. Gleichzeitig beschäftigt sie sich mit der Verbindung von Psychodynamik und neurobiologischen Prozessen. Dazu führen die Forschenden vor und nach einer therapeutischen Intervention funktionelle Kernspintomographien durch, während derer die Patienten Aufgaben lösen, die das Mentalisierungsvermögen betreffen. Damit wird überprüft, ob sich, wie erhofft, im Therapieverlauf eine Angleichung an die Mentalisierungsfähigkeit von Gesunden ergibt. „Psychotherapieforschung ist langwierig, und die Studienuntersuchungen und Prozessanalysen sind sehr aufwendig“, so Christiane Montag. Die Auswertungen der Studie befinden sich zurzeit in Arbeit und in zwei Jahren sollen die letzten Untersuchungen an Patienten abgeschlossen sein.
Die Arbeit an der Studie, insbesondere in ihrer Anfangsphase, wurde durch die Förderung im BIH Clinical Fellows-Programm der Stiftung Charité ermöglicht. Neben finanziellen Aspekten habe die Förderung für Christiane Montag und ihr Team vor allem „eine große Wertschätzung für die klinische Arbeit ausgedrückt“, sagt Christiane Montag.
Förderprogramm
BIH Clinical Fellows
Förderzeitraum
2015 bis 2019
Vorhaben
Psychodynamische Psychotherapie und Mentalisierung bei Patienten mit Schizophrenie – eine randomisiert-kontrollierte Wirksamkeitsstudie
Fachgebiete
Psychiatrie und Psychotherapie
Institution
Psychiatrische Universitätsklinik der Charité – Universitätsmedizin im St. Hedwig-Krankenhaus
Seit 2014
Leitende Oberärztin, Psychiatrische Universitätsklinik der Charité – Universitätsmedizin im St. Hedwig-Krankenhaus
2016
Venia legendi: „Die Bedeutung von Mentalisierungsfähigkeit und empathischem Erleben für die Manifestation und Behandlung schizophrener Erkrankungen“
1990 bis 1998
Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der University of Bristol, UK
Für sie stelle ihre Arbeit nämlich eine einzigartige Schnittstelle zwischen Klinik, neurowissenschaftlicher Forschung und Geisteswissenschaften dar. Außerdem empfinde sie die persönliche Beziehung zu ihren Patienten als sehr bereichernd: „Ohne den Aufbau von Beziehung und Bindung kann man in der Psychiatrie nicht erfolgreich sein. Es ist für mich als Therapeutin etwas ganz Belohnendes und Schönes, wenn das funktioniert. Sich in die innere Welt eines anderen Menschen hineinzuversetzen, kann sehr spannend sein und von der eigenen Beengtheit wegführen.“ So beeinflusse der Kontakt zu Patienten mit ungewöhnlichen Lebensweisen auch ihre persönliche Einstellung zum Leben: „Ich glaube, da ist eine große Offenheit entstanden – für das Ungewöhnliche und nicht Normgerechte“, erklärt Christiane Montag. Die Linie zwischen normal und pathologisch sei letztendlich stark durch gesellschaftliche Wertvorstellungen geprägt. So lange also jemand „seinen eigenen Zielen entsprechend sinnvolle Tätigkeiten umsetzen kann“, sehe sie als Psychiaterin keinen Handlungsbedarf.
Die Psychiaterin findet jedoch, dass die öffentliche Wahrnehmung psychiatrischer Forschungsthemen weiterhin unangemessen bleibe. Insbesondere Erkrankungen aus dem sogenannten „Schizophrenie-Spektrum“ werden immer noch stark stigmatisiert und seien deutlich schambesetzter als zum Beispiel Depressionen. Auch die Angst vor Zwangsmaßnahmen führe laut Christiane Montag dazu, dass Betroffene größere Scheu empfinden, professionelle Hilfe zu suchen. Während beispielsweise Prominente sich mittlerweile zu einer selbsterlebten Depression öffentlich äußern, werden die subjektive Erfahrung einer Psychose oder der Genesung davon meist verschwiegen. Eine realistische öffentliche Debatte über die leitliniengerechte und individualisierte Behandlung von psychotischen Erkrankungen – und auch die dafür notwendigen Mittel – bleibe bisher weitgehend aus.
Mai 2017 / TO und MM