zurück zur Übersicht

Histopathologie: Dem Gewebe ganz nah

Frau Dr. Kühl, Sie sitzen jeden Tag am Mikroskop und schauen sich Zellen an. Was ist die Motivation dahinter?

An der Forschung hat mich schon lange fasziniert, dass man eine Idee oder eine Frage nicht googelt, sondern sie sich selbst beantwortet. Zunächst habe ich Biotechnologie studiert und das Abwasser aus Papierbleichwerken behandelt. Doch wenn man mit 20-Liter Abwassereimern hantiert und es stinkt, wünscht man sich irgendwann ins immunologische Labor zurück – so bin ich in der medizinischen Forschung gelandet. Ich finde es außerdem wichtig, zu sehen, wofür man forscht. Daher finde ich die Struktur am Campus Benjamin Franklin praktisch: Man hat hier zwei Bettenhäuser, in denen die Patienten behandelt werden und dazwischen die Forschung, wodurch es einen engen Kontakt zwischen Ärzten und Wissenschaftlern gibt. Die Ärzte sehen, was die Patienten brauchen und können das wiederum den Forschern vermitteln. Diese Idee finde ich hier im Gebäude gut umgesetzt – alleine kommt man nicht auf neue Ideen. 

Sie sind Hauptnutzerin eines Gerätes, das Frau Professor Siegmund im Rahmen des BIH Investment Fund bei uns beantragt hat. Was ist das für ein Gerät?

In der Histopathologie mikroskopieren wir Gewebeschnitte nach der Färbung. Im iPATH.Berlin bieten wir dazu eine aufwendige Methode an, bei der es sich nicht lohnt, dass jeder sie in seinem Labor selbst durchführt. Daher haben wir Auftraggeber innerhalb der Charité, aber auch berlinweit und international. Mit einem normalen Durchlichtmikroskop kann man sich Proben anschauen, die z.B. mit Farbniederschlägen in rot, braun und blau markiert wurden. Oder man verwendet ein Fluoreszenzmikroskop und schaut sich Proben an, die mit Fluoreszenzfarbstoffen zum Leuchten gebracht wurden. Heutzutage gibt es allerdings Durchflusszytometer, die bis zu 30 verschiedene Parameter auf Einzelzellebene messen. Die Histopathologie mit ihren drei oder vier Farben kann also kaum mithalten. Wenn man mehrere Marker auf einem Gewebeschnitt färbt, kann man diese mit dem bloßen Auge letztendlich kaum unterscheiden. Das neue Mikroskop hat eine Kamera, die multispektrale Bilder aufnimmt. Das heißt, man sieht zwar rot oder braun, aber die Kamera erkennt jeweils, wo ein Berg und wo ein Tal ist. Sie kann damit Farben wieder unterscheiden, die das Auge nicht voneinander trennen kann. Dies ermöglicht es uns, mehrere Parameter auf einen Gewebeschnitt zu analysieren und dadurch wieder attraktiver für Wissenschaftler zu werden, die sonst nur mit dem Durchflusszytometer arbeiten.

Und für was macht man das Ganze?

Man kann Immunzellen im Körper anhand verschiedener Marker identifizieren und sich so eine immunologische Landkarte schaffen. Für viele Verfahren müssen Immunzellen aus dem Gewebe herausgelöst werden und man erhält vereinzelte Zellen im Reagenzglas, von denen man nicht mehr sagen kann, wo im Organ sie sich befanden. Für das Verstehen einer Erkrankung ist dies aber wichtig. Im Darm gibt es zum Beispiel eine eigene Zellschicht, die das Immunsystem des Darms von seinem Innenleben, inklusive Bakterien und Nahrungsmittelbestandteilen, abgrenzt. Dort gibt es Zellen, die sich genau unterhalb dieser Zellschicht anordnen.

Anja Kühl

Förderprogramm

BIH Investment Fund

Förderzeitraum

2015

Vorhaben

Immunhistochemisches und immunfloureszenzoptisches Multiplexing für die in situ-Charakterisierung funktioneller Zellpopulationen

Fachgebiet

Histopathologie, Gastroenterologie

Institution

Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Seit 2017

Leitung der zentralen Forschungseinrichtung für Immunpathologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin (iPATH.Berlin), Medizinische Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie

2016

Lehrbefähigung für das Fach Experimentelle Medizin

2001 bis 2016

Wissenschaftliche Mitarbeitern, ab 2011 Projektleiterin, in histopathologischen Serviceprojekten der Sonderforschungsbereiche SFB633 und SFB650, Charité -- Universitätsmedizin Berlin

Sie erfassen Bestandteile aus dem Darm und signalisieren den Immunzellen, dass diese zur Darmflora gehören und keine Reaktion auflösen sollten. Es ist also wichtig, dass man diese Zellschicht abgrenzen kann, was nur im Gewebeschnitt möglich ist. An einer einzelnen Zelle kann man hingegen sehen, was diese spezifische Zelle macht, welche Botenstoffe sie aussendet und in welchem Zustand sie sich befindet. Daher versuchen wir, es auch histopathologisch möglich zu machen, dass man die betroffene Zelle nicht nur lokalisiert, sondern auch ihre Funktion beobachten kann.

Es war aber wahrscheinlich kein Kindheitstraum, Zellen im Mikroskop anzuschauen? 

Als Doktorandin habe ich chronisch-entzündliche Darmerkrankungen untersucht und unsere Gewebeproben gaben wir immer einem Pathologen. Er konnte wahnsinnig gut erklären und war von der Histopathologie begeistert. Also habe ich mir nicht nur die Ergebnisse bringen lassen, sondern habe es mir selbst im Mikroskop angeguckt und erklären lassen. Er arbeitete den ganzen Tag für die Klinik und nahm sich trotzdem Zeit für eine interessierte Doktorandin. Als Professor an der Charité hat Herr Loddenkemper dann beim Aufbau seiner Arbeitsgruppe an mich gedacht. Seitdem hat es mich nicht mehr losgelassen. Ich finde es wahnsinnig schön, Gewebeschnitte unter dem Mikroskop anzusehen. Ich finde es einfach schöner, zu sehen, wie dick eine Zelle ist, was sie für Ausläufer hat und wo sie sitzt, als im Durchflusszytometer Punkte aufleuchten zu sehen.

Was geben Sie jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit auf den Weg?

Junge Forscherinnen und Forscher sollen sich selbst vertrauen. Wenn sie Ideen haben, die sie verfolgen wollen, sollen sie sich nicht von Äußerlichkeiten aufhalten oder von Professoren einengen lassen. Sie gehen oft unbedarfter und neugieriger an eine Fragestellung und das sollten sie noch eine Weile beibehalten.

Dezember 2017 / MM