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Von der Grundlagenforscherin zur Entrepreneurin – mit vollem Körpereinsatz für die Krebsforschung

Sie ist Professorin, Mutter, CEO eines Start-Ups und Karateka – Angela Moreira Borralho Relógio hat in ihrem Alltag viele Hüte auf. Ihre Karriere führte die Frau mit dem klingenden Namen von Lissabon über Heidelberg nach Berlin an die Charité – Universitätsmedizin Berlin und zuletzt nach Hamburg. Unterwegs ist sie eine durch und durch interdisziplinär agierende, europäische Wissenschaftlerin geworden, die ihren Fokus klar auf die Anwendbarkeit ihrer Forschung legt. Genau aus diesem Streben nach Anwendbarkeit speist sich ihre Motivation, immer weiter zu gehen und größer zu denken. So der bleibende Eindruck eines gemeinsam verbrachten Nachmittags in den neuen Räumlichkeiten der Stiftung Charité in Berlin-Mitte, das Bettenhochhaus der Charité immer in Sichtweite. Ein Büro an der Charité hat Relógio, die von 2019 bis 2021 im Rahmen des Inventors for Health-Pilotprogramms der Stiftung Charité gefördert wurde, nicht mehr; seit Sommer 2023 sind sie und ihre Arbeitsgruppe vollständig in Hamburg zu finden. Anlass genug, in einem FACES-Interview gemeinsam Rückschau zu betreiben.

Die biologische Uhr ist das zentrale Thema in Angela Relógios Forschung, Lehre und Unternehmertum. Sie tickt in praktisch jeder Körperzelle und spielt eine entscheidende Rolle bei der Erhaltung der menschlichen Gesundheit. Sie wird auch zirkadiane Uhr genannt, da sie grob einen 24-Stunden-Rhythmus beschreibt (lateinisch circa plus dies). Eine Störung des zirkadianen Rhythmus kann sowohl die körperliche als auch die kognitive Leistungsfähigkeit einer Person beeinträchtigen und wird mit einem erhöhten Risiko für Schlafstörungen, Depressionen, Diabetes, neurodegenerativen Erkrankungen, Fettleibigkeit und Krebs in Verbindung gebracht. Dabei ist die ‚innere Uhr‘ nicht verallgemeinerbar – wir ticken alle anders. 

Als ich zu Anfang unseres Gesprächs erwähne, dass ich mir zur Vorbereitung unter anderem ihren 2019er Antrag für den Inventors for Health-Grant aus unserem Archiv gekramt habe, muss Relógio lachen: „Memories!“ Denn seither ist viel passiert: Relógio und Team haben mit TimeTeller eine nichtinvasive Methode entwickelt, mit deren Hilfe der persönliche zirkadiane Rhythmus bestimmt werden kann; ein Test-Kit entwickelt, das in alle Welt verschickt werden kann; und – nach gründlicher Vorbereitung – in diesem Jahr das gleichnamige Start-Up gegründet, um das TimeTeller-Kit und die damit verbundenen Laborauswertungen hochzuskalieren und in einem professionellen Rahmen anbieten zu können.

Kann die Professorin sich noch an ihre Anfänge in der Wissenschaft erinnern? Natürlich kann sie – und erzählt, dass sie „schon immer“ Krebsforschung gemacht hat. Dabei sei sie eigentlich physikalische Ingenieurin. Doch schon ihre Diplomarbeit bewegte sich im Feld der Strahlentherapie. Nach dem Uniabschluss in Portugal zog es sie ans Europäische Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) bzw. dessen Standort in Heidelberg: „Ich wollte Krebsforschung machen und wollte das, was ich davor gemacht habe, verbinden mit neuen Techniken, die ich im Labor zu lernen hoffte.“ In Heidelberg wurde sie mit ihrem fachlichen Hintergrund von einem sowieso sehr interdisziplinär aufgestellten Team mit offenen Armen empfangen, erinnert sich Relógio. Bis dahin hatte sie noch nie eine Pipette in der Hand gehalten. Das sollte sich nun ändern. 

Angela Moreira Borralho Relógio

Förderprogramm
Inventors for Health

Förderzeitraum
2019 bis 2021

Fachgebiet
Zirkadiane Medizin und Systembiologie

Vorhaben
A non-invasive method for the molecular and computational characterization of the internal biological clock in humans

Institution
ehemals Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

2023
Gründung TimeTeller GmbH

Seit 2020
Professur für Systemmedizin und Biostatistik an der MSH Medical School Hamburg

2020
Aufnahme in den BIH Digital Health Accelerator

2016
Habilitation in Molekularbiologie und Bioinformatik, Charité – Universitätsmedizin Berlin

An die Charité – Universitätsmedizin Berlin wechselte sie 2007, weil sie sich einen direkteren klinischen Bezug ihrer Arbeit wünschte; die Entdeckungen und ‚kleinen Schritte‘ der Grundlagenforschung, die sie in Heidelberg betrieben, in allen Ehren. Den zirkadianen Rhythmus – „im Grunde Wellen und Oszillatoren!“ – machte Relógio von da an ganz bewusst zu ihrem Thema, weil sie darüber ihre Expertise aus der Physik und der Biologie in computergestützten Analysen verbinden konnte. Die nächsten Meilensteine waren: das Rahel Hirsch-Stipendium der Charité, das ihr eine gewisse wissenschaftliche Unabhängigkeit verschuf und sie an ihrer Habilitation arbeiten ließ; ein Grant vom BMBF im Rahmen des e:Bio – Innovationswettbewerbs Systembiologie, mit dem Relógio eine Arbeitsgruppe mit fünf Leuten zu den Auswirkungen der zirkadianen Rhythmik auf Krebszellen aufbauen konnte; und der Gewinn des BSIO Female Independence Award, den Relógio als „sehr motivierend“ beschreibt. „Der Award hat mir auch geholfen, Geräte zu kaufen, die ich zu dem Zeitpunkt wirklich brauchte.“

Immer klarer wird Relógio, dass es an klinischen Studien fehlt, die den zirkadianen Rhythmus in der Krebsforschung berücksichtigen. Sie sucht den Kontakt zu Klinikerinnen und Klinikern, bemüht sich darum, dass ihr und ihrer AG Material von Krebspatientinnen bzw. -patienten überlassen wird, und um Studieneinschlüsse. Was sie antreibt, ist der Verdacht, erhärtet durch die wenigen Studien, die ihr in der Fachliteratur unterkommen, dass es einen Unterschied machen könnte, zu welcher Tageszeit Patientinnen und Patienten beispielsweise ihre Chemotherapie bekommen. Auf die Frage, warum es nur so wenige systematische Untersuchungen dazu gibt, findet sie schnell eine Antwort: Es fehlt eine standardisierte und leicht anwendbare Methode, mit der Wissenschaftler/innen diesen biologischen Rhythmus genau messen könnten.

Die logische Schlussfolgerung: „Wir müssen eine solche Methode entwickeln!“ Den Rhythmus von Zellen aus einer Petrischale im Labor zu messen, das hatte das Team zu diesem Zeitpunkt längst getan, das funktionierte gut. Gemeinsam leisteten sie auch eine „gewisse Pionierarbeit,“ so Relógio stolz, als sie zeigten, dass die ‚Uhr‘ von Krebszellen sich von der ‚Uhr‘ normaler Zellen unterschied. Damit war ein neues Ziel gefunden: die Nebenwirkungen von Chemotherapien minimieren, d. h. die gesunden Zellen einer erkrankten Person möglichst schonen und möglichst viele dieser Zellen retten, während die Krebszellen in ihrem Wachstum gestoppt und bestenfalls vernichtet werden. Denn das ist ja bis heute das Paradox etablierter Krebsbehandlungen, dass die tödliche Krankheit mit einem giftigen Chemiecocktail bekämpft wird, der den Körper belastet – auch wenn er Krebs heilen kann. Relógio erklärt: „Das ist ein großes Problem in der Medikamentenentwicklung. Um die 90 Prozent getesteter Mittel fliegen raus – circa 30 Prozent davon nur, weil sie zu toxisch für den Menschen sind, nicht, weil sie nicht wirken würden.“

Es beginnt eine Phase, in der die Forscherin und ihre Mitarbeitenden verdächtig viele Haare lassen. Und nicht nur Haare: auch Blut- und Speichelproben nehmen sie sich zu Testzwecken selbst ab. Beim Gedanken daran muss Relógio schmunzeln. Der zirkadiane Rhythmus lässt sich in allen drei Arten von Proben messen. Der volle Körpereinsatz der Wissenschaftler/innen hatte sich also gelohnt. Fortan konzentrieren sie sich auf den Speichel, denn: „da muss man nur spucken.“ Trotzdem stellen sich auch hier Fragen: Was, wenn das für Krebspatientinnen bzw. Krebspatienten eventuell nicht funktioniert, weil sie vielleicht nicht verlässlich spucken oder Speichel produzieren können, Infektionen haben oder einen trockenen Mund? Weitere Studien müssen her. Siehe da: es funktioniert.

Im Gespräch mit Außenstehenden kommt die Frage nach einer Patentierung der Messmethode auf und nach einem Ansatz für die Zukunft, der unternehmerische Aspekte mitdenkt. Relógio trägt diese Fragen eine Weile mit sich herum. Dann sieht sie die Ausschreibung der Stiftung Charité für das Inventors for Health-Pilotprogramm. Sie bewirbt sich und erlebt gleich eine doppelte Überraschung: erstens ist ihre Bewerbung erfolgreich, ihr Projekt wird als eins von dreien in das Innovationsförderprogramm aufgenommen, und zweitens zeigt die Jury echte Begeisterung für das Potenzial von TimeTeller. Ein solches Feedback hatte sie bis dahin aus rein wissenschaftlich orientierten Kreisen nicht bekommen.

In den Folgejahren wächst gleichsam mit ihrem Wissen auch ihr Selbstvertrauen als Entrepreneurin. Sie investiert eigenes Geld in TimeTeller und meldet zwei Patente an. Ohne „I4H,“ wie sie das Programm im Gespräch abkürzt, und die Mentorinnen und Mentoren, das ganze Netzwerk, das sich ihr dadurch eröffnete, undenkbar. Relógio erinnert sich neben wichtigen Wegbegleitern wie Marvin Stolz (Leiter Bereich Innovation, Stiftung Charité) und Craig Garner (Professor der Neurowissenschaften und Translationsexperte, Mitgründer von SPARK-BIH) an die flexible Finanzierung, die ihr u. a. ermöglichte, einen zusätzlichen Mitarbeiter einzustellen und einen Roboter zu kaufen, durch den ihr Team plötzlich statt einer Probe zwölf Proben zugleich analysieren konnte. Von dort aus, wo sie heute steht, kommentiert sie: „Jetzt erscheint mir das total wenig, aber damals war dieser Sprung grandios.“ Sie erzählt weiter: „Wir haben inzwischen ein sehr professionelles TimeTeller-Kit. Aber damals, da saßen wir im I4H-Bootcamp und haben aus Papier eine Box gebastelt und dann befüllt mit einem Schwamm und kleinen Plastikteilen und gedacht, ja, so könnte es einmal aussehen.“ Relógio muss über diese ersten Gehversuche im Produktdesign lachen. Ein gutes Kit, so lernt sie, ist eines, das Personen, die es noch nie zuvor gesehen haben, richtig verwenden – d. h., dass sie mittels der Inhalte eine im Labor auswertbare Probe sichern. Herausfinden können Relógio und Team das nur über die Arbeit mit Testpersonen. Auf Basis der Resultate und des Feedbacks dieser Personen entstehen diverse Reiterationen eines TimeTeller-Kits – teils mit, teils ohne Kühlakku, Handschuhe oder einer Gebrauchsanleitung in Form von Zeichnungen, beispielsweise – und schließlich die heute im Gebrauch befindliche Version. 

Gleichzeitig tun sich in der Forschung immer weitere Fragen auf. Das Team muss herausfinden, wie es die größtmögliche Menge RNA aus dem Speichel der Testpersonen extrahieren kann und es muss die Rhythmusmessungen validieren: „Klappt das jetzt für alle Menschen oder nicht?“ Und immer noch ist der Weg bis zum eigentlichen Ziel weit: „Die Vision war schließlich, Krebspatientinnen und -patienten sagen zu können, welche die beste Zeit für ihre individuelle Behandlung ist.“ Bei aller Expertise in mathematischen Modellierungen reift eine Erkenntnis heran: „Wir können das nicht generalisieren. Es geht nicht, dass ich eine Behandlungszeit bestimme, ganz unabhängig davon, womit du behandelt wirst. Tatsächlich ist die Krankheit dafür weniger relevant als die Medizin. Ob du Aspirin nimmst oder Ibuprofen, macht einen Unterschied. Es ist nicht das gleiche für deinen Körper, also wird auch die optimale Einnahmezeit für die unterschiedlichen Medikamente nicht die gleiche sein.“

Um weiterzukommen, fokussieren Relógio und ihre Laborgruppe sich auf das Mittel Irinotecan, das recht vielseitig eingesetzt wird. Es kommt bei Darmkrebsdiagnosen, aber auch bei Eierstockkrebs und anderen Krebsarten zum Einsatz. Die Wissenschaftlerin erklärt, dass die biologische Uhr – selbst durch Gene bestimmt – mindestens 50 Prozent des Genoms eines Menschen reguliert: dessen Zellzyklus und Metabolismus, beispielsweise; aber auch die Fähigkeit Zellen zu reparieren und das Immunsystem stehen unter zirkadianischer Kontrolle. Wenn klar ist, mit welchem Arzneimittel die Person behandelt werden soll, können die Forschenden die biologische Uhr und den Metabolismus der Person mit dem Metabolismus des Arzneimittels synchronisieren. Und sie können eine Kurve ermitteln, die die Toxizität dieses Mittels für die individuelle Person anzeigt. Aus der lässt sich ablesen, zu welcher Uhrzeit eine Einnahme des Mittels für die Patientin bzw. den Patienten am wenigsten, wann am meisten toxisch wäre.

Im Labor funktioniert der skizzierte Prozess sehr gut. Jetzt braucht es klinische Studien, die ermitteln, ob bzw. mit welcher Wahrscheinlichkeit das Ganze in der Praxis funktioniert. Alles deutet darauf hin, dass es das tun wird. Ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse bis dato und die mathematischen Modelle seien inzwischen alle publiziert, betont Relógio. Denn was sie nicht wollte, war, dass Prozesse wie die Patentanmeldungen den wissenschaftlichen Fortschritt bremsen. Damit demonstriert ihr Handeln auch, dass es keine Konflikte erzeugen muss, zugleich unternehmerisch und klinisch forschend tätig zu sein. Eine wichtige Message in Richtung anderer Forschender im medizinischen Bereich. Relógio dazu: „Es ist halt eine Entscheidung, die du treffen musst. Es gibt natürlich viele Firmen, die alles geheim und für sich behalten. Aber ich wollte das nicht, ich will ja Menschen helfen!“ Es freue sie, so Relógio, wenn Kolleginnen und Kollegen die Ergebnisse ihres Labs aufnehmen und weiter nutzen.

Im Rahmen der Inventors for Health-Förderung lernt Relógio Anne-Mette Jensen kennen, eine der Mentorinnen des Pilotprogramms. Jensen kennt sich aus mit Gründungsprozessen im Medtech-Bereich, mit Produktdesign und Co. Sie hat das entsprechende Netzwerk, weiß, wer programmieren kann, wer gute Apps designt. Darüber hinaus sei sie auch einfach „ein super Mensch.“ Als Dorothée Döpfer, die Programmmanagerin am BIH für den Digital Health Accelerator (DHA), Relógio im I4H-Bootcamp präsentieren hört, spricht diese die Wissenschaftlerin an und ermutigt sie, sich im Anschluss an ihre Teilnahme bei den Inventors for Health auf die DHA-Förderung zu bewerben. Relógio erinnert sich: „Ich bin ihr sehr dankbar, denn sonst hätte ich das vielleicht nicht gemacht.“ Die Bewerbung schreibt sie gemeinsam mit Jensen. 

Alles, was sie bei I4H gelernt und entwickelt hat, fließt mit ein. In der Arbeit an der Bewerbung wird klar: „Wir brauchen hier Ärzte, die uns unterstützen.“ Relógio liebäugelt mit Personen aus der Leukämieforschung, denn mit Blutproben einer solch systemischen Form von Krebs ließe sich gut arbeiten. Sie geht auf Professorin Angelika Eggert zu. Bei der renommierten Spezialistin für Krebs im Kindesalter und Direktorin der Klinik für Pädiatrie mit Schwerpunkt Onkologie und Hämatologie an der Charité stößt sie auf offene Ohren. Eggerts Labor wird klinischer Partner von TimeTeller,und mit Eggerts Gruppe beginnt sie eine Studie über Leukämie und die zirkadiane Uhr. Relógio wird mit dem Projekt in den Accelerator aufgenommen. Auch zur Stage Two wird sie eingeladen und nimmt daran teil. Sie lernt immer mehr über Regulatorien, Marktzulassungen, „business.“ Zugleich weitet sie die inhaltliche Arbeit aus, kann an einer großen gynäko-onkologischen Studie der Charité, geleitet von Professor Jalid Sehouli und Professorin Elena Ioana Braicu, teilnehmen, in der Patientinnen aus über zwanzig Krankenhäusern in Deutschland eingeschlossen sind. Nur den Einzelpersonen sagen, wann sie am besten ihre Medikamente einnehmen, das darf sie in dieser Phase aus ethischen und rechtlichen Gründen noch nicht. Ein Trost: Sie kann wertvolle Daten generieren, anhand derer sich rückwirkend überprüfen lässt, ob die TimeTeller-Prognosen mit der später erlebten Realität der Studienteilnehmerinnen, was den weiteren Krankheitsverlauf und Nebenwirkungen angeht, zusammenpassen.

Gesunde Personen für eine Kontrollgruppe rekrutiert Relógio in ihrem eigenen damaligen Berliner Sportverein. Fast 200 Personen erklären sich bereit, ihre sportliche Performance zu unterschiedlichen Tageszeiten analysieren und mit ihrer biologischen Uhr korrelieren zu lassen. Die Ergebnisse sind erstaunlich akkurat: „ein Mega-Erfolg.“ Dieser spricht sich herum. Ein portugiesisches Krankenhaus nimmt Kontakt zu Relógio auf. Dort wird zu Parkinson geforscht; eine Krankheit, bei der Sport bzw. Bewegungstherapie sehr gut anschlagen. Häufig kann eine Verschlechterung der Krankheit damit verlangsamt werden. Das Parkinson-Projekt, das das dortige Team daraufhin gemeinsam mit Relógio aufsetzt, läuft bis heute. Überhaupt laufen inzwischen eine ganze Reihe von Studien in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen mit TimeTeller-Beteiligung. Zu den schon genannten kamen jüngst eine Studie zu Gehirntumoren und eine im Bereich Frauengesundheit hinzu. Viele weitere sind vorstellbar.

Vor dem Hintergrund kein Wunder, dass die MSH Medical School Hamburg, eine private Hochschule, sich für die umtriebige Forscherin mit Erfindergeist zu interessieren begann. Relógio war zum Zeitpunkt ihrer Verhandlungen mit der MSH habilitierte Gruppenleiterin an der Charité. „Irgendwann möchtest du natürlich den nächsten Schritt gehen, auf eine Professur,“ erklärt sie. Das Angebot der MSH, das ihr schließlich gemacht wurde, überzeugte Relógio. Sie kann nicht nur ihre Arbeitsgruppe umsiedeln und mit TimeTeller weitermachen, sondern gleich ein neues Institut gründen: das Institut für Systemmedizin. Mit der Geschäftsführerin der MSH, Ilona Renken-Olthoff, ist sie heute per Du. Relógio lobt die Offenheit und Nahbarkeit der Hochschulmanagerin, in der sie ein echtes Vorbild für karriereorientierte Frauen sieht, und die Unterstützung, die sie in Hamburg erfährt. Einmal innerhalb der Medical School, aber auch darüber hinaus. Eine Zusage für einen Gründungszuschuss von InnoRampUp bringt die Professorin schließlich dazu, die Pendelei zwischen Berlin und Hamburg zu beenden und vollständig in die Hansestadt umzusiedeln. Der Umzug ist Bedingung für den Grant, hinter dem die Hamburgische Investitions- und Förderbank steht – „völlig verständlich,“ so Relógio, soll die Förderung doch die Region stärken. Ihre Familie zieht mit ihr um, der Zeitpunkt passt auch für Sohn und Tochter – ein Aspekt, der der Mutter wichtig war. 

What’s next? Bei allem Erfolg und mit in den USA und Europa angemeldeten Patenten sowie einem immer belastbareren Netzwerk im Rücken ermahnt Relógio sich selbst: „jetzt heißt es: realistisch bleiben!“ Wirtschaftlich müsse sich ihr Start-Up erst noch beweisen. Aber: die Kinder sind inzwischen groß und die Energie, die die Professorin in Forschung, Lehre und Unternehmertum steckt, ist es ebenso. Während unseres Gesprächs bekomme ich Nachhilfe in Portugiesisch: relógio bedeutet tatsächlich Uhr. Vielleicht ist in dieser Geschichte alles auch ein bisschen Schicksal.

Dr. Nina Schmidt
August/ September 2023